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Weihnachten und die Verkaufsschlachten


Für die meisten Menschen gehören die Wochen vor Weihnachten zur schönsten Zeit des Jahres. Der wohlriechende Duft von gebrannten Mandeln und süssem Glühwein, zahlreiche, die öffentlichen Einrichtungen und Einkaufsstrassen grell erleuchtende Lichterketten sowie niedlich eingerichtete Weihnachtsmärkte schaffen eine heimelige, warme Adventsstimmung, welche einen die bissig kalten Minustemperaturen schnell einmal vergessen lässt. Doch wie so oft hat alles seine Kehrseite. Denn Weihnachtszeit heisst nicht nur Musse und Gemütlichkeit. Heiligabend bedeutet eben auch: es eilig habend. Denn wirklich idyllisch sind Weihnachtseinkäufe nicht. Vielmehr gleichen Einkaufszentren aufgemotzten Massenwarenschauplätzen, auf welchen gehetzte Konsumschlachten ausgetragen werden. Ist es doch gesellschaftlicher Usus, dass man sich zu Weihnachten gegenseitig Geschenke macht. Wenn auch häufig wenig Zeit vorhanden ist und wenig eigentliche Empathie dafür aufgebracht werden kann, müssen Geschenke dennoch gekauft sein. Lieber irgendein Geschenk als gar keines, ist da die Devise!

Es drängt sich da die Frage auf, woher denn eigentlich diese Tradition des Schenkens zu Weihnachten kommt?

Hierfür scheint es mehrere Deutungen zu geben. Einige meinen, der Akt des weihnachtlichen Schenkens liesse sich auf die Zeit des 18. bis 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Für gewisse Teile der Gesellschaft war das „Schenken“ zu dieser Zeit Pflicht. Die damalige Gesindeordnung statuierte explizit, dass Dienstboten und Hausmädchen Ansprüche auf beispielsweise einen Weihnachtstaler oder Kleidungsstücke hatten.

Andere verweisen auf die Wortwurzel des Wortes „schenken“, die verdächtig nahe am Wort „schräg“ ist. Gerade die Urform – das westgermanische skankija, welches dem heutigen Schenken lautlich nahesteht – meint eigentlich „schräg halten“. Schräg gehalten werden allerlei Gefässe, in welche immer schon Trankopfer an die Götter aus- bzw. eingeschenkt wurden. Wer also etwas schenkt – zu Weihnachten oder sonst wann –, verzichtet auf etwas oder – in Anlehnung an die Götter theologisch gesprochen – legt ein Opfer dar, opfert etwas. Dass auch die christliche Botschaft dahingehend ausgelegt werden kann, leuchtet ein. Es ist der an Weihnachten geborene Messias, welcher in aufopfernder Art und Weise für die Menschheit gestorben ist; sozusagen ein Geschenk Gottes zu deren Rettung.

Die etymologische Betrachtungsweise des Wortes „schenken“ fördert noch weitere aufschlussreiche Einsichten zutage. Während eine religiös-mythische Deutung die Ursprungsbedeutung des Schenkens im Einschenken von Trankopfern erkennt, würde eine profane Interpretation den Zusammenhang zum Wirtshaus hervorheben. In der Tat ist nämlich die Schenke der Ort, an dem ausgeschenkt wird. Doch sind die ausgegebenen Getränke nicht etwa umsonst. Der Wirt gibt zwar etwas, allerdings erwartet er für seine Leistung auch eine Gegenleistung. Dieses Darreichen von Getränken gegen Entschädigung steht wohl aber im Widerspruch zum Begriffsinhalt des Schenkens, wie dieser heute gemeinhin verstanden wird. Geschenkt ist geschenkt, und das bedingungslos und uneigennützig. Die etymologische Verbindung zur Wirtstätigkeit ist jedoch nicht von der Hand zu weisen und offenbart gewissermassen eine allzu häufig verkannte Grundtendenz menschlichen Seins. Wahrhaftig vorbehaltlos zu schenken, fällt dem Menschen schwer. Nicht selten ertappt man sich dabei, wie man zumindest unterbewusst gewisse Erwartungen an den Beschenkten stellt. Selbst der selbstloseste Schenkende wird wohl irgendwann skeptisch, wenn er ewig nur Beschenkender bleibt. Und wenn auch nicht materielle Gegenleistung erwartet wird, so fühlt sich die schenkende Person in ihrem Tun dann bestätigt, wenn ihr dafür Anerkennung zuteil kommt. Oftmals ist eben das eigene moralische Gewissen, das zum Schenkungsakt treibt, da sich dieses von diesem Akt noch grössere Beschenkung erhofft. Werden Geschenke durch keinerlei Wertschätzung goutiert, hören diese alsbald auf, geht doch das moralische Gewissen eben leer aus. Deshalb weist gerade diese sprachgeschichtliche Deutung auf die Wichtigkeit hin, den Akt des Schenkens nicht fälschlicherweise zu einer alleinselig machenden Tugend zu verklären, in deren Kontrast dann alle nicht auf der Schenkung beruhenden Handlungen – wie eben jene des Wirts – als allzu eigennützig und somit moralisch geringwertiger betrachtet werden.

Doch damit nicht genug. Die Sprachgeschichte rund um den Wirt lehrt uns eine weitere Tatsache. Wird etwas geschenkt, ist eben die unmittelbare Tat, das Schenken, im Vordergrund. Wer aber schenken will, muss hierfür etwas besitzen. Der Wirt, der seine Getränke ausschenkt, muss vorher in deren Besitz gekommen sein. Entweder hat er diese selber produziert, wie dies in der Geschichte der Wirtshäuser üblich war, oder zugekauft. Hat er diese gekauft, muss er anderweitig produktiv gewesen sein, um Geld erwirtschaftet zu haben, womit er Getränke einkaufen konnte. Der springende Punkt dabei: Will er seine Schenke betreiben, hat er produktiv zu sein. Analog dazu gilt für das Schenken im heutigen Sinne ebenso: Schenken bedingt produktives menschliches Handeln. Nur wer mehr hat, als er zum eigenen Überleben braucht, wird wohl für gewöhnlich bereit sein zu schenken. Ein intakter ethischer Kompass ist hierfür unabdingbar. Ein Akt des Schenkens ist jedoch – was häufig übersehen wird – nicht alleine deshalb moralisch, weil Schenken per se moralisch wäre. Verschenktes Diebesgut hat einen schalen Nachgeschmack, macht den Schenkenden zu einem zwiespältigen Helden und das Verschenkte für den Beschenkten wenig geniessbar. Aufrichtiges, authentisches Schenken setzt voraus, dass das zu Verschenkende aufrichtig erstanden oder zuallererst einmal aufrichtig erschaffen worden ist.

Was dem gesunden Menschenverstand einleuchtet, scheint im Bereich des Politischen gänzlich seine Gültigkeit zu verlieren. Politiker aller Couleur versprechen heute allerlei Geschenke, womit sie sich letztlich die Gunst ihrer Wähler erkaufen. Letztere, nur die eine Seite der Medaille betrachtend, sehen in den von ihnen bevorzugten Politikern die Grosszügigen, die Förderer, die Gemeinwohltäter. Übersehen wird dabei, dass den Beschenkten aus den Taschen gezogen wird, was ihnen hinterher wieder geschenkt wird. Nahezu anonymisiert wird allen genommen, um dann unterschiedliche Gruppen unterschiedlich stark zu beschenken. Dass dieser Art des Schenkens in unserer verpolitisierten Gesellschaft jegliche Aufrichtigkeit fehlt, kann nicht oft genug betont werden! Denn die politische Realität, bei welcher das Schenken dem Umverteilen einer vorher entwendeten Beute gleichkommt, hat so gar nichts mit der erwähnten, eigentlich einleuchtenden etymologischen Deutung des Begriffs „schenken“ zu tun.

Wem diese Kritik an der Politik und der von ihr getriebenen begrifflichen Schindluderei zu einseitig erscheint, mag entgegenhalten, dass heutzutage vor allem das übersteigerte Konsumverhalten die an und für sich noble Tätigkeit des Schenkens überstrapaziert. Angeprangert wird selbstverständlich der Kapitalismus, dessen inhärente Entwicklung eine Infantilisierung der Kunden und Konsumenten ist, die durch eine entfesselte Güterwirtschaft zur Befriedigung künstlicher Bedürfnisse getrieben werden. Nüchtern betrachtet, zeigt sich diese konsumtive Übersättigung und die damit einhergehende Entwertung des Schenkens paradoxerweise darin, dass sich viele Menschen diesem subjektiv als erdrückend wahrgenommenen Konsumismus dadurch zu entziehen versuchen, indem keine unmittelbar vorhandenen materiellen Geschenke versprochen werden, sondern viel eher persönliche Bescherungen. Die unweigerliche Folge – und diese kennen wir alle nur zu gut – sind allerlei Versprechungen, wie eine gemeinsame zukünftige Reise, ein versprochenes Wellnesswochenende oder das Erledigen des Frühjahrsputzes – Versprechungen, die allesamt niemals realisiert werden. Es ist diese Inflationierung mit entsprechender Unterdeckung, welche dem Schenken als vormals nobler Akt die Glaubwürdigkeit nimmt. Wahrhaben möchte dies natürlich niemand, weshalb man sich mit allen Mitteln dagegen stemmt. Es wird dann halt einfach geschenkt, dass geschenkt ist. Bei einigen wenigen löst diese Entwertungstendenz Gegenreaktionen aus, welche zur Folge haben, dass gar keine Geschenke mehr gemacht werden möchten, was natürlich wiederum eine Überdehnung ist.

Ist es also wahr, dass die übermässige Konsumneigung und mit ihr im Speziellen die regelrechten Kauforgien einem unentfesselten Konsumkapitalismus geschuldet sind? Jein. Gewiss verändern sich unsere Präferenzen und wandelt sich unser Verhalten mit stetigem Wohlstandszuwachs. Je wohlhabender eine Gesellschaft, desto konsumfreudiger ist diese. Den Konsum als etwas an sich Schlechtes zu verteufeln, wird dem eigentlichen Problem jedoch nicht gerecht. Nicht der Konsum per se, sondern die künstliche Hypertrophierung, das heisst die künstliche Näherung derselben, ist problematisch. Und ob man es anerkennen will oder nicht, Hauptursache sind abermals politisch orchestrierte Weichenstellungen und Massnahmen. Wie es uns eine nüchterne Ökonomik darzulegen vermag, führen politisch erzeugte Kreditgeldmengenausweitung und Zinssenkung unter anderem zu Überinvestitionen in der konsumnahen Produktion. In eine nicht ökonomische Sprache übersetzt heisst das: Auf unmittelbare Konsumwaren spezialisierte Detailhandelsunternehmen steigern ihren Output an Konsumgütern. Denn niedrige Zinsen machen es nicht nur für den Produzenten lukrativer zu produzieren, sondern ebenso für den Konsumenten zu konsumieren. Konsumkredite aller Art erleben einen Boom; Autos, Flatscreen-Bildschirme und sonstige Gadgets werden auf Pump bezogen. Hält die Kreditgeldmengenexpansion an, verstärken sich die Effekte – nicht zuletzt über Rückkoppelungsmechanismen.

In Anbetracht des Geschriebenen mag sich beim Leser der Eindruck verfestigt haben, als könne der Autor dieser Zeilen mit Politik nichts anfangen, ja dieser gänzlicher der Meinung sei, dass man sich die Politik schenken könne! In Tat und Wahrheit ist dem nicht so. Gute, wahre Politik kann durchaus ihren Stellenwert haben. Verschenkt diese allerdings ihre Seele und verkommt zu einer Beschenkungsmaschinerie zum Vorteil einiger auf Kosten aller und profitiert dabei selber, um mit jedem vermeintlichen Schenkungsakt weiterzuwachsen, was wiederum das Potenzial für zusätzliche Interventionen nährt, ist jede Daseinsberechtigung dahin. Umso wichtiger wird es dann – wie an dieser Stelle versucht –, über die Fehltritte und Fehlentwicklungen der Politik zu schreiben. Und das sogar zu Weihnachten!


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