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Teil II - Es werde Bitcoin. Und es ward Bitcoin


Etwas salopp gesagt lässt sich Bitcoins Ursprung auf den 15. September 2008 zurückführen. Es ist dies der Tag, an dem die Investmentbank Lehman Brothers ihren Konkurs bekannt gibt und die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreicht. Mit dem Bankrott von Lehman Brothers setzt eine Kaskadenwirkung ein, etliche weitere Banken müssen durch ihre Schutzpatrone, die Staaten, gerettet werden. Diese Rettungsaktionen lassen die Verschuldung vieler Staaten vollends aus dem Ruder laufen, weshalb letztlich die Zentralbanken zu deren gewaltigen Staatsanleihen-Ankaufprogrammen übergehen. Noch heute sind die Bilanzen der grossen Zentralbanken deswegen massiv aufgebläht und obschon die Notenbanken damit begonnen haben, ist immer noch nicht klar, ob sie diese Liquidität ohne grosse Probleme jemals wieder aus dem System werden abschöpfen können.


Nur etwa ein Monat später nach dem Krisenhöhepunkt vom 31. Oktober 2008 erreicht einige hundert Mitglieder einer obskuren E-Mail-Liste von Kryptografie-Experten die Nachricht eines gewissen Satoshi Nakamoto. «Seit geraumer Zeit arbeite ich an einem elektronischen Zahlungssystem, das vollständig Peer-to-Peer ist und keiner vertrauenswürdigen Drittpartei bedarf», schreibt der unbekannte Absender. In seiner E-Mail findet sich ein Link zu einem White Paper, das auf eine zwei Monate zuvor registrierte Webseite hochgeladen wurde. Die neunseitige Schrift beschreibt ein Zahlungssystem namens Bitcoin. Dessen spezifisches Alleinstellungsmerkmal: Es basiert auf einer Datenbank, die gleichzeitig über unzählige Rechner verteilt ist und immer wieder alle zehn Minuten aktualisiert wird. Aufgrund dieser Non-Zentralität verfügt das Bitcoin-Netzwerk über keinen zentralen Server und keine Autorität, welche die Buchhaltung über die Wertaustausche innerhalb des Systems sicherstellen muss und somit auch kontrollieren kann.


Den adressierten Kryptografie-Freaks und Informatikern waren derartige Ideen keinesfalls neu. Bereits vor der Jahrtausendwende gab es verschiedenste solcher Ansätze, die jedoch allesamt gescheitert waren. Der Grund: Keines der Projekte vermochte die sogenannte «Double-Spending»-Problematik zu lösen, wonach jemand innerhalb des Systems sicherstellen muss, dass Transaktionen nicht doppelt ausgeführt und somit keine Geldeinheiten aus den Nichts geschaffen werden. Wenig überraschend also, dass auch Bitcoin erstmal auf wenig Euphorie stiess. Warum sollte ausgerechnet dieses System grundlegend besser sein und das Problem des «Double Spending» lösen können?


Wie funktioniert Bitcoin?


Bitcoin setzt dafür auf die einzelnen Netzwerk-Teilnehmer, genauer gesagt die «full nodes». Diese stehen für all jene Netzwerk-Teilnehmer, die sich eine vollständige Kopie der mit allen anderen «full nodes» geteilten Datenbank herunterladen. Aufgrund des Open-Source-Charakters der Bitcoin-Software kann sich jede Person, egal von auf diesem Planeten, in das System mit einschalten. Da die «full nodes» also zu jeder Zeit über den aktuellen Stand der Buchhaltung Bescheid wissen, prüfen sie, dass keine Transaktion doppelt ausgeführt wird.


Doch woran orientieren sie sich? Wie können sie wissen, ob eine Transaktion ausgeführt, bzw. deren Geldeinheiten bereits ausgegeben worden sind? Dafür gleichen sie eine jede neue Transaktion mit der der Datenbank ab. Denn in dieser hält das Bitcoin-System alle jemals ausgeführten Transaktionen fest. Doch nicht nur das. Die einzelnen Transaktionen sind zu einem Block zusammengefasst. Jeder Block wiederum verfügt über einen einzigartigen Hash, der mit einem einmalig vorhandenen Fingerabdruck verglichen werden kann. Oder nochmals anders gesprochen: Es handelt sich dabei um eine Art Identifikationsnummer, die jeweils auf dem vorangegangenen Block referenziert. Auf diese Weise sind die einzelnen Blöcke über die jeweiligen Identifikationsnummern chronologisch miteinander zu einer Kette, der Blockchain, verbunden und lassen sich bis zum Genesis-Block, dem allerersten Block und seinen Ursprungstransaktionen, zurückführen. Das schafft eine transparente Transaktionshistorie, die niemand, ohne Spuren zu hinterlassen, verändern kann. Erfährt ein Block auch nur die kleinste Änderung, zum Beispiel das nachträgliche Anpassen des Inhalts einer einzelnen Transaktion, ändert die Identifikationsnummer dieses Blockes, mit der Konsequenz, dass dies eine Unstimmigkeit mit der Identifikationsnummer des Folgeblocks schafft.


Wie also werden neue Blöcke an die bestehende Kette angefügt und wer stellt sicher, dass diese lediglich nicht ausgeführte Transaktionen beinhalten, damit es zu keinem «Double-Spending» kommt? Hier kommen die sogenannten Bitcoin-Miners ins Spiel. Im Wettbewerb darum, den jeweils neuen Block der Blockchain hinzufügen zu können, versucht ein jeder Miner unter Verwendung von Rechenleistung schnellstmöglich einen neuen Block zu erstellen. Ungefähr alle zehn Minuten gelingt es einem Miner, einen Block zu erstellen, dessen Gesamtinhalt den Anforderungen des Bitcoin-Algorithmus entspricht. Als Belohnung locken neue Bitcoin.


Ein vereinfachendes Bild mag an dieser Stelle helfen: Derjenige Miner, der bei einer zehnziffrigen Zahl zuerst für jeden Faktor eine Sechs gewürfelt hat, gewinnt den Wettlauf, vorausgesetzt der Block umfasst nur noch nicht ausgeführte Transaktionen. Die Miner kontrollieren ihre Ergebnisse gegenseitig und sorgen so dafür, das stets bloss gültige Blöcke in die Blockchain integriert werden. Während sich das Finden eines gültigen Blockes als hochkompetitiv und schwierig darstellt, ist der anschliessende Prozess der Verifikation trivial. Kaum ist ein Block verifiziert, widmen sich die Miner auch schon dem nächsten Block und versuchen erneut ihr Glück.


No Rulers, no Leader: «In Code we Trust»


Es ist dieses ausgeklügelte, Software-programmierte Anreizsystem, das den Bitcoin von seinen Vorgängeransätzen abhebt. Wie die Versuche vor Bitcoin gezeigt haben, kann ein non-zentralistisches Computernetzwerk für Peer-to-Peer Werttransfer ohne ein solches Anreizsystem kaum funktionieren. Denn Software-Code ist nicht in Stein gemeisselt und kann theoretisch geändert und somit sabotiert werden – so auch der Bitcoin-Programmiercode. Das Bitcoin-Ökosystem besteht allerdings aus verschiedenen Hauptgruppen mit unterschiedlichen Interessen: So gibt es die Miners, Kern-Entwickler, Nutzer sowie Geschäfte und Unternehmen. Alle diese Gruppen haben unterschiedliche, teils sogar entgegengesetzte Interessen. Beispielsweise möchten die Nutzer und Unternehmen eher geringe Transaktionsgebühren, während die Miner, welche diese erhalten, in der Regel eher für höhere Transaktionsgebühren plädieren. Aufgrund dieser unterschiedlichen Interessenslagen lassen sich Änderungen innerhalb des Systems nur schwer realisieren. Wann immer eine Gruppe den Bitcoin-Quellcode in eine Richtung vorentwickeln möchte und diese Änderung einer anderen Gruppe nicht passt, kann diese mit einem Fork liebäugeln. Damit würde sich eine neue Bitcoin-Variante abspalten (so geschehen mit Bitcoin Cash am 1. August 2017), worauf sich auch das Bitcoin-Netzwerk teilt. Letztlich liegen unzählige Aufspaltungen jedoch nicht im Interesse dieser einzelnen Gruppen, da so ihr gemeinsames Ökosystem immer weiter verwässert würde. Die überwiegende Mehrheit aller Forks ist daher kaum erfolgreich – ein Zeichen dafür, dass sich die antagonistischen Gruppen innerhalb des Bitcoin-Netzwerks miteinander arrangieren.


Diese Non-Zentralität und das unterschiedliche Interessensgefälle innerhalb des Bitcoin-Systems wird von ausserhalb vor allem als Bremsklotz wahrgenommen, der das Ökosystem nur schwer reformierbar macht. Für viele Bitcoin-Enthusiasten ist darin jedoch viel eher ein Feature als ein Bug zu sehen, verspricht doch die Non-Zentralität Beständigkeit und Resilienz. Das gleiche Argument der Langwierigkeit wird häufig auch gegen die Schweiz und ihre halbdirekte Form der Demokratie vorgebracht. Von Schweizern wird der dezentrale Regierungscharakter und das Mitspracherecht via Initiativen und Referenden allerdings auch eher als Vorteil angesehen.


Mythischer Schöpfungsakt


Zugegebenermassen: Der Wunsch nach einer alles überspannenden Autorität, dem wohlmeinenden Diktator erscheint menschlichen. In Zeiten der Unklarheit und der Ungewissheit sehen sich viele Menschen nach dem konfliktlösenden Machtwort. Ein solches gibt es bei Bitcoin nicht. Das Bitcoin-Ökosystem hat zwar auch seine Galionsfiguren und Vordenker. Diese sind aber über alle Haupt- und Interessensgruppen verteilt. Am ehesten würde wohl eine Aussage Satoshi Nakamotos starkes Gewicht haben. Doch dieser hat sich seit dem April 2011 nicht mehr zu Wort gemeldet und niemand weiss, wer hinter dieser Person steckt.


Wie kann das sein? Der Name Satoshi Nakamoto ist bloss ein Pseudonym. Um seine wahre Identität zu verschleiern, verwendete Nakamoto mindestens drei E-Mail-Adressen, die allesamt aufwendig verschlüsselt waren. Heute kursieren zwar die wildesten Verschwörungstheorien, wonach die Identität Nakamotos geklärt sei. Doch bislang bleibt ein jeder, der sich also Satoshi geoutet hat, den Beweis schuldig.


Für viele Bitcoin-Jünger soll die wahre Identität ohnehin für immer ungelöst bleiben. Denn Satoshi Nakamoto ist nicht nur das einsiedlerische Computergenie hinter Bitcoin, sondern die Personifizierung einer höheren Macht, die sich aus ihrer aktiven Rolle zurückgezogen hat und noch als gottähnliche Gestalt in Köpfen von uns Menschen weiterlebt. Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde», steht in der Genesis. Und Nakamoto schuf am Anfang den ersten Block an Bitcoins, den Genesis-Block. Die Parallelen zur Schöpfungsgeschichte der Bibel sind nicht zu übersehen.


Rückblickend ist dieser Schöpfungsmythos denn auch als brillant zu bewerten, widerspiegelt er letztlich das Hauptanliegen Bitcoins: Non-Zentralität. Dass selbst die begründende Kraft hinter Bitcoin unbekannt ist und keine zentrale Machtposition innehat, unterstreicht die Integrität und das Wertversprechen dieser Idee und ist zudem äusserst raffiniert. Denn gerade in den Anfängen Bitcoins hätte das System über die Manipulation oder Eliminierung des Begründers arg erschüttert oder gar zerstört werden können. Ohne neuralgischen Hauptpunkt war derartiges viel schwieriger.


Heute wird gemeinhin kritisiert, dass der Bitcoin überhaupt nicht so non-zentralisiert ist, wie es dessen Befürworter gerne hätten. In der Tat ist das Mining weniger verteilt, als dass man es sich wünschen könnte. In unserer realen, nicht perfekten Welt muss man sich die Eigenschaft der Non-Zentralität allerdings als Kontinuum vorstellen. Auch wenn der Bitcoin den in der Theorie formulierten Höchstgrad der Non-Zentralität nicht erfüllt, so ist in der Praxis im Vergleich zu anderen bestehenden Institutionen und Strukturen wohl noch immer das non-zentralistische Projekt, das wir kennen.


Teile dieses Artikels sind erstmals hier erschiehnen: http://www.punktmagazin.ch/wirtschaftliches/das-bitcoin-evangelium/


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