Teil IV - Bitcoin: when Mainstream?
Seit Jahresbeginn hat der Bitcoin weit über die Hälfte seines Kurses eingebüsst. Andere Krypto-Assets sind sogar noch mehr gefallen. Zwar hat sich der König der Krypto-Welt in den vergangenen Monaten ab und an ein wenig aufgebäumt – bislang allerdings erfolglos waren die jeweiligen Kurssteigerungen doch stets innert einigen Tagen wieder dahin. Ob der jüngste Preisanstieg vor ein paar Tagen das Erwachen oder doch nur ein kleines Husten ist, wird sich zeigen.
Noch immer ist der Krypto-Markt hauptsächlich von Privatanlegern bevölkert. Institutionelle Anleger, allen voran die Wall Street, sind abgesehen von ein paar wenigen Hedge-Fonds nicht investiert. Meldungen wie jene von BlackRock vor ein paar Tagen lassen zwar erahnen, dass das Interesse da ist, konkrete Schritt zur professionellen Anlage seitens der Institutionellen werden aber kaum getätigt.
Dieser Umstand wurde seit jeher von vielen Krypto-Enthusiasten als wunderbarer Glücksfall angepriesen, bedeutet dieser doch, dass der einfache, wenn auch digital versierte Mann von der Strasse für einmal vor den Banken, Vermögensverwaltern und Pensionskassen in einer Anlageklasse investiert ist.
Mittlerweile ist die Situation rund um die Krypto-Investments für viele Privatinvestoren allerdings immer mehr zum nervenauftreibenden Geduldspiel geworden. Wurde die Abwesenheit institutioneller Akteure anfangs noch glorifiziert, scheint deren anhaltendes Fernbleiben langsam zu beunruhigen. Immer mehr Involvierte sehnen daher den Eintritt der institutionellen Investoren herbei. Denn bereits seit Monaten hiesse es, dass institutionelle Anleger an der Seitenlinie stehen und den richtigen Zeitpunkt abwarten würden. Beispielsweise hat die von Nasdaq betriebene Krypto-Handelsbörse DX offenbar bereits über 500'000 Nutzer registriert und das noch vor der Markteinführung, die Ende Juni war. Auch der kürzlich erschienene Capgemini World Wealth Report widmete den Krypto-Assets ein ganzes Kapitel, in dem davon berichtet wird, dass Krypto und die Blockchain bei sehr vermögenden Kunden weltweit auf grosse Aufmerksamkeit stossen würde.
Wann öffnen die Schleusen?
Dass institutionelle Anleger Krypto-Assets noch nicht angefasst haben, scheint einige insbesondere vor dem Hintergrund des globalen Anlagenotstandes zu verwundern. Die Zentralbankeninterventionen der vergangenen Jahre haben die Preise vieler Anlagegüter immens aufgebläht und deren Renditen schmälern lassen. Mit Bitcoin und den Krypto-Assets ist just in dieser Zeit eine neue Anlageklasse geboren – warum aber wurde diese von der nach Rendite lechzenden Finanzwelt nicht als aussichtsreiche Investitionsmöglichkeit aufgenommen?
Bis 2017 wurde Bitcoin mehrheitlich ignoriert. Nur logisch, dass von institutioneller Seite niemand über ein Investment nachdachte. Heute jedoch ist Krypto der ganzen Welt ein Begriff und gleichwohl scheinen institutionelle Anleger noch immer ihre Finger davon zu lassen. Die Gründe sind wohl vor allem in der Unausgereiftheit des Marktes zu finden. So gibt es noch zu wenige sogenannte Onramp-Möglichkeiten. Die Mehrheit der Banken verfügt weder über ein Research- noch ein Trading-Desk für Krypto-Assets. Zudem sind auch die Verwahrungsoptionen, sogenannte Storage-Lösungen, kaum vorhanden. Niemand möchte Krypto-Assets im Wert von mehreren Millionen Dollar einfach auf einem gewöhnlichen Hard-Wallet lagern.
Jene Akteure, die sich bereits eine gewisse Krypto-Infrastruktur aufgebaut haben, sind noch zu unbekannt – es fehlt ihnen der Track-Record. Denn geht es um Finanzen und Investments, sind Leumund und Erfahrung zur Vertrauensbildung unerlässlich. Angesichts der Sicherheits- und Betrugsrisiken, von denen man im Zusammenhang mit Krypto immer mal wieder hört, ist die Zurückhaltung vonseiten institutioneller Investoren nachvollziehbar. Dass die rechtliche Situation in vielerlei Hinsicht noch nicht abschliessend geklärt ist, verschärft die Problematik zusätzlich.
Ebenfalls abschreckend auf institutionelle Investoren wirkt die nach wie vor hohe Volatilität des Krypto-Marktes. Preisschwankungen von bis zu zwanzig Prozent innerhalb von nur wenigen Stunden sind bei Bitcoin keine Seltenheit, während andere Krypto-Assets noch eine viel schlechter Bilanz haben. Als die US-Aktien im Februar dieses Jahres um lediglich fünf Prozent tauchten, versetzte das die Wall Street bereits in grosse Aufruhr. Derartige Preisfluktuationen können sich institutionelle Anleger schlichtweg nicht leisten.
Doch ist ihnen nicht nur die Volatilität ein Dorn im Auge, sondern auch die Unberechenbarkeit des Gesamtmarktes. Gerade weil der Krypto-Markt seinen eigenen Regeln zu folgen scheint, ist er gegenüber den traditionellen Märkten zwar unkorreliert, dafür aber auch weniger gut ein- und abzuschätzen. Für einen institutionellen Akteur etwas ungemütlich: Was, wenn ich als Pensionsgesellschaft liquide Mittel benötige und ich mich zu einem Verkauf meiner Krypto-Assets gezwungen sehe? An einem guten Tag kann ich das Krypto-Asset mit einem astronomisch hohen Gewinn verkaufen. An einem schlechten Tag hingegen verliere ich eine echte Stange Geld, das Tausenden von Rentnern gehört.
Gegen die Volatilität wird oft das Argument ins Feld geführt: Ist der Markt erst einmal erwachsen und verfügt über eine genügend hohe Markttiefe, werden sich auch die Preise stabilisieren. Ob das stimmt, wird die Zeit zeigen. Letztlich handelt es sich hier um die berühmte Huhn-Ei-Problematik: Soll der Krypto-Markt endgültig entbunden, erwachsen und somit zu einer anerkannten, preisstabilen Anlageklasse werden, benötigt er die Liquidität institutioneller Investoren. Zurzeit halten sich diese jedoch gerade aufgrund der Volatilität fern.
Kein passives Einkommen
Bitcoin sowie die meisten anderen Krypto-Assets haben allerdings noch einen anderen gewichtigen Nachteil, der ihnen inhärent ist: Es lässt sich mit ihnen kein passives Einkommen erzielen. Ein solches ist für institutionelle Investoren wie Pensionskassen, Anlagefonds und Versicherung jedoch eminent wichtig. Sie alle haben regelmässige Zahlungen zu leisten. Deren Geschäftsmodell besteht am Ende des Tages darin, mit ihren Investitionen genügend Geld zu verdienen, um Rentner- Investoren- und Versicherungsansprüche decken zu können.
Ob Dividenden aus Aktien oder Zinszahlungen durch Anleihen, die traditionellen Anlagevehikel ermöglichen ein regelmässiges, indirektes Einkommen, womit institutionelle Anleger ihre Auslagen finanzieren können. Aktien und Anleihen müssen nicht verkauft werden, um für den Inhaber finanziell profitabel zu sein. Bitcoin vermag dieses so wichtige indirekte Einkommen für institutionelle Investoren nicht zu leisten, ausser man beteiligt sich am Bitcoin-Mining.
Eine Möglichkeit zur Erzielung eines indirekten Einkommens bietet das sogenannte Staking, welches durch «Proof-of-Stake» ermöglicht wird, ein alternativer Konsensus-Algorithmus zum «Proof-of-Work»-Algorithmus von Bitcoin. Staking erlaubt es gewissermassen eine Rendite für «gestakte» Coins zu erzielen. Vor diesem Hintergrund wäre zu erwarten, dass institutionelle Investoren – wenn überhaupt – auf Krypto-Assets setzen werden, welche ein solches Staking ermöglichen. Einer möglicher Grund also, weshalb Ethereum, das von «Proof-of-Work» auf «Proof-of-Stake» zu wechseln plant, in der «Corporate World» auf grössere Akzeptanz zu stossen scheint.
Ist es somit vor allem die ungünstige Beschaffenheit von Bitcoin und anderen Krypto-Assets, welche institutionelle Anleger an einem Investment hindert? Wir können nur spekulieren. Ganz unplausibel wäre eine solche Annahme jedoch nicht, wonach Krypto-Assets als neue Anlageklasse bei institutionellen Anlegern nicht auf Anklang stossen, eben weil sie aus deren Sicht eben keine Assets sind. Das wäre eine bittere Pille für die so hoffnungsvolle Krypto-Community.
Mit Sicherheit sind auch die Preise ein Problem. Denn anders als bei herkömmlichen Vermögenswerten hat man sich bei den Krypto-Assets noch kaum auf einheitliche Bewertungsgrundlagen geeinigt. Da Bitcoin und andere Krypto-Protokolle keinen kontinuierlichen Cash-Flow generieren, taugen traditionelle Bewertungsmodelle wie das Discounted-Cash-Flow-Verfahren wenig.
Neue Methoden werden bereits diskutiert. So wird versucht, das Potenzial der Marktdurchdringung eines Krypto-Assets zu evaluieren, um mögliche Netzwerkeffekte abzuschätzen. Dabei greift man auf eine Faustregel des Metcalfe’schen Gesetzes über das Kosten-Nutzenverhältnis von Kommunikationssystemen zurück. Die Schwierigkeit hier: Wie sollen die Marktdurchdringungspotenziale sinnvoll eruiert werden, wenn kaum klar ist, welchen Markt die Protokolle dereinst einmal bedienen werden? Eine andere häufig gewählte Art der Bewertung basiert auf der Einschätzung der Entwicklerteams eines Krypto-Assets. Doch diese sind hoch subjektiv. Die wenigsten Investoren kennen die jeweiligen Entwickler persönlich. Da das Krypto-Phänomen noch so jung ist, verfügen die wenigsten Blockchain-Entwickler über einen aussagekräftigen Leistungsausweis.
Es muss nicht kommen, wie es kommen muss
Sind Krypto-Assets deshalb abzuschreiben? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen: Auch wenn Krypto-Assets aufgrund ihrer Beschaffenheit nach heutigen Standards keine Assets sind, muss das nicht heissen, dass dies für immer so bleiben muss. Nicht zuletzt deshalb wird dem Modell der Security-Tokens eine grosse Zukunft vorausgesagt.
Doch selbst für den Bitcoin stehen die Zeichen gut. Denn wie so oft im Leben geht es nicht rein um «fill» oder «kill» bzw. «schwarz» oder «weiss. 98 Prozent unserer Gesellschaft haben auch kein Interesse an Zweimarktpolicen, Antiquitäten, Oldtimern, Katastrophenanleihen oder Mikrofinanz. Und doch sind diese Anlageklassen das zehn-, hundert, oder gar tausendfache der Marktkapitalisierung von Bitcoin. Wie die Portfolio-Perspektive zudem zeigt: Bitcoin zeigt nach wie vor so gut wie keine Korrelation zu herkömmlichen Vermögensklassen. Aufgrund solcher (und anderer) einzigartigen Charakteristika wird Bitcoin auch ohne breite Mainstream-Adoption zusätzliches Potenzial haben. Es ist überhaupt nicht nötig, dass Bitcoin im Jahr 2023 das dominierende Zahlungsmittel ist – das Beispiel von Gold veranschaulicht diesen Umstand auf eindrückliche Weise. Eine stabile Nische mit ein paar 100'000 Investoren reicht völlig aus, um den Preis von Bitcoin noch um einiges in die Höhe zu treiben. Auch wenn das Gros der institutionellen Investoren dem Bitcoin fernbleiben sollte, hätte das einen entscheidenden Vorteil, würde das doch bedeuten: Die Korrelation zu den von institutionellen Anlegern dominierten Anlageklassen dürfte auf einem überschaubaren Niveau verharren. Sollte sich die Bitcoin-Blockchain dann auch über mehrere Dekaden als unangreifbar erwiesen haben, dürfte dieser Umstand in Kombination mit einer anhaltenden Nicht-Korrelation noch so manch vernünftigen Privatinvestor dazu bewegen, Bitcoin im Portfolio-Kontext nicht länger zu ignorieren.