Teil XIII - Smart-Contract-Plattformen: Welche ist wohl smart genug?
Ethereum ist heute (erst) etwas älter als drei Jahre. Seit der erste Ethereum-Block am 30. Juli 2015 geschaffen worden ist, hat sich die öffentliche Blockchain in Sachen Marktkapitalisierung zum zweitgrössten Krypto-Asset entwickelt und zählt heute bereits über 250'000 Entwickler. Bis heute sind ungefähr 1'800 DApps registriert. Ethereum ist zudem zweifellos die erfolgreichste, blockchain-basierte Crowdfunding-Plattform. Von den Top 100 Token nach Marktkapitalisierung wurden 94 Prozent ursprünglich auf Ethereum aufgebaut – 13 Milliarden Dollar an Kapital sind auf diese Weise über Ethereum zustande gekommen. Von den Top 700 Token nach Marktkapitalisierung entfallen 87 Prozent auf Ethereum. Das entspricht 15 Milliarden von 19 Milliarden Dollar, die über die Ethereum-Plattform gesammelt wurden.
Dieses Wachstum und die daraus resultierende Dominanz hat andere Smart-Contract-Plattformprojekte auf den Plan gerufen. Obwohl Ethereum einen kometenhaften Aufstieg erlebte, ist heute klar: Damit Ethereum dezentralisierte Dienste und Applikationen in einem Ausmass handhaben kann, um gegenüber traditionellen zentralisierten Lösungen eine echte Alternative zu sein, bedarf es wirkungsvoller Skalierungsmöglichkeiten. Die Ethereum-Community hat dies erkannt und arbeitet daran – noch hat sie den Durchbruch aber nicht geschafft.
Hier sehen viele alternative Smart-Contract-Plattformen ihre Chance, Ethereum zuvorzukommen. Gelingt es ihnen eher und besser zu skalieren, dürfte nicht nur die alte Welt – in der Hoffnung technologische Umbrüche mitgehen zu können – sondern auch die neue Welt ihre Anwendungen in Zukunft auf einer dieser alternativen Smart-Contract-Plattform bauen.
Wenn Akademiker eine Blockchain bauen
Die meisten Smart-Contract-Projekte versuchen Ethereum daher mit Geschwindigkeit den Rang abzulaufen. Nicht so Cardano – in der Krypto-Community auch als japanisches Ethereum beschrieben. Dies aber nicht etwa, weil es sich dabei um ein Projekt japanischen Ursprungs, sondern weil das Projekt in Japan lanciert worden ist und angeblich rund 95 Prozent aller ICO-Investoren aus dem Land der aufgehenden Sonne beheimatet waren.
Bei Cardano wird nicht auf Schnelligkeit gesetzt. Im Gegenteil gilt der Fokus der Genauigkeit und Richtigkeit. Gegründet wurde Cardano von Charles Hoskinson, der ebenfalls bereits bei Ethereum und BitShares mitgewirkt hatte. Dass Hoskinson Mathematiker ist, schimmert bei Cardano ganz klar durch. Wohl kein anderes Smart-Contract-Projekt ist derart akademisch geprägt und auf mathematische Korrektheit aus. Für die Entwickler hinter Cardano steht die fachliche Begutachtung des Codes im Vordergrund. So ist es deren Absicht, die Cardano-Protokolle einem Peer-Review-System zu unterstellen und jeglichen Programmcode, wenn möglich, mit formaler Verifikation zu validieren. Formal verifiziert ist ein Programmcode dann, wenn mathematisch nachgewiesen ist, dass er für alle Inputs korrekt ist. Mittels formaler Überprüfung ist zwar (noch) nicht bewiesen, dass ein Code das tut, was er tun soll, doch ist bewiesen, dass gewisse Fehler ausgeschlossen werden können. Diese Art der formalen Verifikation ist ein neuer Bereich, und obwohl sich auch andere Projekte vermehrt daran orientieren, will Cardano hier führend sein.
Cardano läuft zwar bereits auf einem eigenen Mainnet, viele der Eigenschaften und Merkmale dieser Smart-Contract-Plattform sind allerdings noch in der Entwicklung. Für einen Aussenstehenden gibt es daher noch wenig gesicherte Informationen. Schon heute scheint klar zu sein: Während bei vielen anderen Projekten die Buchführung von Werttransaktionen sowie das Ausführen von Smart-Contract-Befehlen zusammenfallen, sind diese Prozesse bei Cardano auf zwei unterschiedliche «Layers» getrennt. Da gibt es zum einen den «Settlement Layer» für den Werttransfer sowie den «Computational Layer» für die Anwendung von Smart Contracts. Von dieser Aufspaltung verspricht man sich bei Cardano vor allem entscheidende Aspekte wie Skalierbarkeit, Privatsphäre sowie regulatorische Fragen und Compliance besser unter einen Hut bringen zu können. Die beiden unterschiedlichen «Layers» basieren zudem auf zwei verschiedenen Programmiersprachen. Die eine Sprache ist spezifisch und begrenzt, damit aber auch weniger anfällig für Bugs und anderen unvorhersehbaren Programmierfehlern, während die andere flexibler ist. Je nach Anwendung kann dann die eine oder die andere Programmiersprache verwendet werden, weshalb Cardano hier eine gewisse Auswahl bietet.
Ob dieser sorgfältige Weg der Peer-Review-Begutachtung und jener der formalen Verifikation in der doch ungemein schnelllebigen Krypto-Welt zum Erfolg führen wird, kann nur die Zeit zeigen. Vielleicht schüttet man bei Cardano das Kind aber auch mit dem Bade aus, hat doch die Methode der Peer-Review-Begutachtung auch ihre auserlesenen Kritiker. Deren Argument: Akademische Begutachtungsprozesse liefern bei weitem nicht immer Gewissheit und sind daher den Aufwand oftmals nicht wert. Selbst ein solcher Vorbehalt täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass man bei Cardano philosophisch, mathematisch sowie technisch saubere Arbeit leisten will. Folglich könnte das Projekt der Krypto-Welt in Zukunft noch einige interessante Ansätze bezüglich Smart-Contract-Plattformen liefern.
China nimmt es mit Ethereum auf
Ein weiteres Projekt, das eine Plattform für das Internet der Zukunft errichten will, stammt aus China. Vormals als Antshares bekannt, wechselte das Projekt im Juni 2017 seinen Namen auf NEO und sorgte dann gleich für Furore unter den Krypto-Investoren. Alsbald kam unter diesen jedoch die Frage auf: Kann ein Blockchain-Projekt aus China überhaupt erfolgsversprechend sein, wo doch die Regierung Chinas 2017 dezidiert Stellung gegen Bitcoin und ICOs bezogen hatte?
Natürlich ist das mit China und seinen eisernen Massnahmen immer so eine Sache. Denn wer genau hinschaut, erkennt: China hat sich nicht generell gegen die Blockchain-Technologie gestellt, immerhin hat sich die Zentralbank Chinas in seinem Fünfjahresplan für das Ausloten der Möglichkeiten der Blockchain-Idee stark gemacht. Im Grunde genommen interessiert sich die chinesische Regierung einfach für jene Blockchain-Projekte, die berechenbar und damit steuerbar sind. Und genau hier scheint NEO, wohl aus gutem Grund und in beabsichtigter Weise, anzusetzen.
Es ist das erklärte Ziel der Verantwortlichen hinter NEO auf Geschwindigkeit und regulatorische Compliance zu setzen. Bei NEO will man die Blockchain-Technologie dazu nutzen, Vermögenswerte aller Art zu digitalisieren, die Verwaltung und den Handel derselben mittels Smart Contracts zu automatisieren, um so die Strukturen für eine sogenannte Smart Economy ins Leben zu rufen. Hierfür ist die Lösung einer digitalen Identität unverzichtbar, weshalb der NEO Council – das Organ zur Förderung des NEO-Ökosystems – mit PikcioChain eine GDPR-konforme digitale Identitätslösung unterstützt. Baut eine Blockchain-Plattform auf Pseudo- oder gar Anonymität, ist sie für einen Staat – vor allem einer wie China – sowie Unternehmen von geringem Interesse, da regulatorische Erfordernisse so kaum erfüllt werden können.
Gleichzeitig legt NEO seinen Fokus aber auch auf Lösungen zur Entwicklung der Privatsphäre und des Datenschutzes. So will NEO über seine Partnerschaft mit OnChain, ein Unternehmen zur Förderung von Blockchain-Projekten, Unternehmen den Datenschutz ermöglichen. Gegründet von Da HongFei und Erik Zhang, die ebenfalls NEO ins Leben gerufen haben, arbeitet OnChain mit Regierungen und Unternehmen zusammen, um öffentliche und private Blockchains zu schaffen, welche dereinst über die dezentrale Netzwerkarchitektur (DNA) von OnChain mit dem NEO-Ökosystem verbinden sollen.
Wie Ethereum und andere Smart-Contract-Projekte verfügt auch NEO bereits über eine Open-Source-Gemeinschaft für Entwickler und Programmierer mit dem Namen City of Zion, zielt mit NEOX auf eine Interoperabilität ab und hat eine ICO-Plattform, die Zahlungslösungen, dezentralisierte Handelsbörsen und mehr erlauben soll.
Der Konsensus-Mechanismus von NEO nennt sich Delegated Byzantine Fault Tolerance oder dBTF. Hinter diesem Begriff verbirgt sich letztlich ein uns aus der traditionellen Welt bekanntes Governance-Modell: dasjenige einer repräsentativen Demokratie. Die NEO-Token-Inhaber bestimmen Delegierte, sogenannte Buchhalter, die für Konsens sorgen und das Netzwerk so aufrechterhalten. Insgesamt gibt es sieben dieser Buchhalter. Gegenüber Ethereum ist die Anzahl der das Netzwerk validierenden Knoten um einiges geringer. Zudem haben die NEO-Buchhalter erst noch digitale Identitäten und echte Namen – sind also für jedermann ersichtlich, während die Netzwerkknoten bei Ethereum anonym sind. Dass bei NEO die Buchhalter bekannt sind, macht im Hinblick auf die Ziele dieses Projektes gewiss Sinn. Um den regulatorischen Erfordernissen gerecht werden zu können, muss das Blockchain-Projekt über diesen Grad an Transparenz verfügen.
Über das Modell der delegierten Buchhalter kann verhindert werden, dass Transaktionen von allen Knoten im Netzwerk validiert werden müssen. Auf diese Weise vermag NEO eine höhere Anzahl an Transaktionen abzuwickeln als Ethereum. Darüber hinaus sind NEO-Transaktionen final. Das bedeutet: Forks, als Aufspaltungen der Blockchain in mehrere Ketten sind unmöglich. Erreichen die Buchhalter einen Konsens von 66 Prozent, wird die zu validierende Transaktion nicht nur in die Blockchain aufgenommen, sondern endgültig und kann nicht durch einen Fork obsolet gemacht werden.
Ein weiterer Unterschied zwischen Ethereum und NEO betrifft die Programmiersprachen zur Entwicklung von Smart Contracts. Ethereum setzt hier Solidity voraus - eine speziell für Ethereum entwickelte Programmiersprache. NEO hingegen unterstützt eine Vielzahl der bekanntesten Programmiersprachen. Bei NEO sieht man darin vor allem den Vorteil, traditionellen Entwickler das Programmieren auf der NEO-Blockchain zu ermöglichen, ohne dass dazu eine neue Programmiersprache erlernt werden muss.
Die Unterschiede sind nicht zu übersehen
Besonderes interessant ist die Tatsache, wonach NEO ähnlich wie Ethereum das Gas-Prinzip kennt. Während bei Ethereum der Ether-Token allerdings auch als Gas Verwendung findet, verfügt NEO neben dem NEO-Token noch über einen separaten Gas-Token. Der NEO-Token ermöglicht es, Anteil an der NEO-Plattform halten zu können. Wie bereits erwähnt, sind NEO-Token-Inhaber dazu berechtigt, die Buchhalter zu bestimmen. Der Anteilscharakter des NEO-Token wird dadurch gestärkt, dass dieser nicht teilbar ist.
Der Gas-Token hingegen dient der Bezahlung aller Operationen wie Transaktionen im NEO-Netzwerk und fungiert so ebenfalls als Krypto-Fuel. Die Bezahlung in Form der Gas-Token geht zum einen an die Buchhalter, zum anderen aber auch an alle NEO-Token-Inhaber. Zur Einforderung der Gas-Token ist ein persönliches NEO-Wallet von Nöten - wie beispielsweise NEON.
Diese Entkopplung von NEO und GAS besticht vor allem durch die Tendenz der Buchhalter, die Transaktionsgebühren niedrig zu halten. Der Grund ist der folgende: Hohe Transaktionsgebühren, die nur den Buchhaltern zu Gute kommen, verhindern, dass Operationen auf der NEO-Blockchain durchgeführt werden. Je weniger Operationen, desto weniger Belohnung erhalten NEO-Token-Inhaber. Das bewegt diese dazu, für Buchhalter zu stimmen, die wiederum die Transaktionsgebühren niedrig halten.
Es sind solche Eigenschaften, welche NEO zu einer interessanten Smart-Contract-Plattform machen. Aus einer Makrosicht unterscheidet sich diese Plattform allerdings von Ethereum in einem grundlegenden Aspekt: Allem Anschein hat sich NEO in die Dienste des chinesischen Staats gestellt, weil man sich davon einiges verspricht. Folglich ist NEO seinem Wesen nach ein geplantes und von oben nach unten orchestriertes Unterfangen, das vor allem durch den NEO Council im Interesse des chinesischen Staates vorangetrieben scheint. Aus Sicht von NEO hat diese Strategie denn auch intakte Erfolgschancen. Wer sich auch nur in China selbst durchsetzt, und einen Markt von 1,4 Milliarden Menschen bedient, kann sein Vorhaben bereits als Erfolg verbuchen.
Und falls sich im Westen eine oder mehrere andere Smart-Contract-Plattform etablieren sollten, würde dies nicht das Ende von NEO bedeuten. Techgiganten aus den USA wie Facebook oder Amazon liefern hierfür ein gutes Beispiel. Obschon ihre Dominanz in der Welt ausserhalb Ostasiens immer grösser wird, haben sie im Land der Mitte gegen die heimischen Plattformen so gut wie keine Chance. Weshalb sollte das im Bereich der Smart-Contract-Plattformen anders sein?
Anders Ethereum, auf das zwar auch Interessensgruppen wie Consensys oder die Ethereum Enterprise Allianz Einfluss nehmen, dessen Ökosystem nichtdestotrotz die Philosophie organischen Wachstums hochzuhalten scheint. In diesem Sinne erweckt die Ethereum-Plattform vielmehr den Eindruck, sich gewissermassen als spontane Ordnung zu gebärden. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausrichtungen sind die beiden Projekte nur schlecht miteinander zu vergleichen. Während NEO eine fortgeschrittene Zukunft anstrebt, die auf die bestehenden Akteure und Gegebenheiten angepasst ist, arbeitet man bei Ethereum an einer neuen Zukunft, an der sich die gegenwärtigen Unternehmen und Staaten dereinst werden ausrichten müssen.
EOS: Ethereums grösster Konkurrent?
Dem Drama der Krypto-Welt gerecht werdend, tragen einige dieser Smart-Contract-Kontrahenten daher auch den Namen «Ethereum-Killer». Das wohl prominenteste dieser Projekte ist EOS, von einigen auch «Ethereum on Steroids» genannt. Während Ethereum ein etabliertes Blockchain-Projekt mit einer voll funktionsfähigen Plattform ist, steckt EOS noch in den Kinderschuhen. Im Anschluss an das grösste je auf Ethereum durchgeführte ICO, bei dem eine Rekordsumme von ungefähr vier Milliarden Dollar zusammengekommen ist, führte EOS im Juni dieses Jahres seinen Mainnet-Launch durch und wechselte so von einem ERC-20-Token basierend auf Ethereum auf eine eigene Blockchain, die EOS-Blockchain.
Obschon EOS letztlich auch das Programmieren von Smart Contracts ermöglicht, gibt es doch einige gewichtige Unterschiede. So werden Ethereum-Smart-Contracts beispielsweise mit JavaScript / Solidity entwickelt. Smart Contracts auf der EOS-Blockchain hingegen müssen in C++ geschrieben werden. Da diese Programmiersprache nicht ganz so gebräuchlich und benutzerfreundlich ist, sehen einige Programmierer hier eine Eintrittsschwelle, die EOS gegenüber anderen Smart-Contract-Plattformen benachteiligen könnte. Gleichzeitig soll EOS künftig die Implementierung von C/C++ Bibliotheken aufweisen, was die Möglichkeiten von Entwicklern erheblich erweitern würde.
Anders als Ethereum basiert der Konsens-Mechanismus von EOS auf dem sogenannten "Delegated Proof of Stake" oder kurz DPoS. Diese Art der Konsensus-Findung wurde von EOS-Gründer Dan Larimer erfunden. Wie schon bei NEO berechtigt DPoS jeden EOS-Token-Inhaber dazu, Validatoren in einer Abstimmung zu wählen. Analog zur Devise «ein Mensch, eine Stimme gilt hier: Ein Token, eine Stimme. Das heisst auch: Wer über mehr EOS-Token verfügt, hat grösseren Einfluss auf das Abstimmungsergebnis.
Die Validatoren werden bei EOS Block-Produzenten genannt, da sie in gegenseitiger Übereinstimmung die EOS-Blöcke produzieren und auf ihre Richtigkeit prüfen, um so die Funktionalität der Blockchain aufrechtzuerhalten. Insgesamt haben die EOS-Token-Inhaber 21 Block-Produzenten zu bestimmen, die effektiv dazu befähigt sind, die Blockchain zu verwalten und damit das Netzwerk sicher und funktionsfähig zu halten. Für ihre Arbeit werden sie mit neuen EOS-Token belohnt. Leistet ein Block-Produzent keine gute Arbeit und validiert beispielsweise ungültige Transaktionen, kann ihm der Status als Block-Produzent entzogen werden. Die Abstimmungen werden ungefähr alle zwei Minuten durchgeführt. Grundsätzlich ist es somit möglich, Validatoren alle paar Minuten auszuwechseln. Denn neben den 21 tätigen Block-Produzenten gibt es ungefähr hundert weitere Block-Produzenten im Standby-Modus. Wird ein Block-Produzent aus welchen Gründen auch immer abgewählt, rückt einer aus der Reserve nach.
Die Idee der EOS-Gründer hinter dieser Struktur ist folgende: Weil die Aufgabe der tatsächlichen Verarbeitung und Validierung der Transaktionen an nur 21 Block-Produzenten abdelegiert wird, soll das Grundprotokoll und damit die eigentliche Blockchain selber skaliert werden können, um so Millionen von Transaktionen pro Sekunde zu ermöglichen. In der Realität vermochte das EOS-Projekt bis heute ein Maximum von 3’097 Transaktionen pro Sekunde erfolgreich abzuwickeln. Im objektiven Vergleich schneidet EOS bis lang also deutlich besser ab als Ethereum, obschon das eigentliche Ziel von Millionen von Transaktionen kaum erreicht ist. EOS ist aber nicht nur in der Lage, eine grössere Menge an Transaktionen pro Sekunde abzuwickeln – auch die Transaktionsgeschwindigkeit ist höher. Schon nach nur einer Sekunde erreicht die Blockchain Endgültigkeit über einen eben neu hinzugefügten Block.
Inflationierung als Belohnung
Interessanterweise sind bei EOS keine Transaktionsgebühren vorgesehen. Diese werden von den EOS-Gründern eher als hinderlich angesehen. So liest man in diesem Zusammenhang oft von Facebook: Über 50'000 Likes verarbeiten die Facebook-Server pro Sekunde und letztlich stellt jeder dieser Likes eine Transaktion dar. Hätte man auf einer blockchain-basierten Social-Media-Plattform jedes Mal eine Transaktionsgebühr zu bezahlen, dürfte dies dem Kundenerlebnis abträglich sein. Während bei Ethereum die Miner, welche Transaktionen validieren und an die Blockchain anfügen, für diese Leistung mittels Transaktionsgebühren entlöhnt werden, werden die Validatoren innerhalb des EOS-Systems für ihre Überprüfungsarbeit deshalb nicht mit Transaktionsgebühren entlohnt. Fairerweise muss gesagt werden: Bei Ethereum arbeitet man ebenfalls an Second- oder Third-Layer-Skalierungslösungen, welche die eben beschriebene Problematik entschärfen sollen.
Wie aber werden die EOS-Block-Produzenten stattdessen entlohnt? Sie erhalten durch das EOS-Protokoll neu geschaffene EOS-Tokens. Jedes Jahr werden fünf Prozent zusätzliche EOS-Token produziert. Konkret heisst das: Der EOS-Token-Bestand wird pro Jahr um fünf Prozent inflationiert. Von diesen fünf Prozent erhalten die Block-Produzenten jeweils ein Prozent als Belohnung für die Validierung der Transaktionen. Die restlichen vier Prozent kommen in einen separaten Pool, von dem Vorschläge zur Verbesserung und Weiterentwicklung der EOS-Blockchain finanziert werden. Bei EOS soll zudem sichergestellt werden, dass Block-Produzenten ihren Verdienst nicht mit jenen teilen können, von denen sie auch ihre Stimmen erhalten. Das «Kaufen von Stimmen» soll also unterbunden werden.
Krypto-ökonomisch betrachtet, dienen Transaktionsgebühren nicht nur um Anreize zu setzten, sondern halten sie bösartige Akteure auch davon ab, das Blockchain-Netzwerk mittels unnötig vielen Transaktionen zu überlasten. EOS hingegen verhindert derartige Spam-Attacken damit, dass die Blockchain-Bandbreitennutzung von der Anzahl EOS-Token abhängig ist. Wer ein Prozent aller Token besitzt, hat Anspruch auf ein Prozent der gesamten Bandbreite des Netzwerkes. Um die Chancen auf eine gezielte Netzwerküberlastung zu erhöhen, muss der Angreifer seinen Besitz an EOS-Token steigern, was immer grössere Kosten verursacht. Spam-Attacken sind daher nicht ausgeschlossen, wohl aber ökonomisch kostspielig.
Wer auf Ethereum eine DApp (dezentralisierte Applikation) entwickeln will, nimmt hierfür gewissermassen die Rechenleistung der Ethereum-Miner in Anspruch und bezahlt diese mit dem bereits genannten Ether-Gas. EOS hingegen basiert auf einem Besitzmodell: Hält man ein Tausendstel des EOS-Netzwerkes, verfügt man auch über einen Tausendstel der auf EOS-Blockchain vereinigten Rechenleistung. Wer für das Hosten einer DApp beispielsweise zehn Prozent der gesamten EOS-Rechenleistung beansprucht, muss folglich auch zehn Prozent der gesamten EOS-Token-Anzahl besitzen. Dieses Besitzmodell ermöglicht es DApp-Entwicklern beispielsweise, ihre Hosting-Kosten jederzeit realistisch einzuschätzen.
Angriff auf Ethereums derzeitige Raison d'être
EOS tritt auch dafür an, das Konzept des Crowdfunding abermals zu revolutionieren. Dabei sollen vor allem die Mängel von Initial Coin Offerings (ICO) ausgemerzt werden. Über die Ethereum-Plattform lassen sich heute via ICO – auch Token Sale genannt – finanzielle Mittel direkt sammeln. Man gibt einen Token aus und erhält dafür im Gegenzug Ether, Bitcoin oder auch andere Kryptowährungen. Nicht zu vermeiden ist, dass auch Hochstapler, Betrüger und Scharlatane auf diese Weise finanzielle Mittel einnehmen. Es ist die Hoffnung von EOS-Sympathisanten, dass Krypto-Projekte längerfristig von Ethereum wegmigrieren und stattdessen für das Crowdfunding zu EOS wechseln. So geschah es beispielsweise mit Everipedia, einem for-profit Konkurrenten von Wikipedia.
Das EOS-Ökosystem kennt keine ICOs oder Token Sales, sondern nur den Airdrop. Will sich ein Projekt über die EOS-Blockchain finanzieren, gibt es seine auf EOS-basierenden Token via Airdrop umsonst an die EOS-Community weiter. Nachdem die Token des Projekts mittels Airdrop verteilt worden sind, soll der Markt den Wert der Token nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage bestimmen. Das Team hinter dem Projekt kann dann einen Prozentsatz an eigenen Token verkaufen, um so Geld für das Projekt zu sammeln. Wie aber ein über einen Airdrop verteilter Token ohne Kapital überhaupt erst an Wert gewinnen und somit durch den Markt akzeptiert werden soll, scheint etwas unklar.
Hier dürfte allenfalls der innerhalb des EOS-Ökosystems geschaffene Risikokapitalfonds zum Zug kommen. Hinter diesem Fonds steht das Unternehmen Block.one, das 2017 das ICO für den EOS-Token gemacht hat. Der Risikokapitalfonds soll dazu dienen, strategische Investitionen in unterschiedliche Projekte zu tätigen, die auf der EOS-Blockchain bauen. Es liegt nahe, dass über diesen Risikokapitalfonds in vielversprechende Projekte investiert wird, die auch einen Airdrop über die EOS-Blockchain durchführen wollen. Natürlich drängt sich dann die Frage auf, wie stark Block.one das Crowdfunding über EOS beeinflusst. Immerhin findet durch den Risikokapitalfonds eine gewisse Vorselektion statt, die es bei Ethereum so nicht gibt.
Hierin zeigt sich sodann das Dilemma: Entweder man nimmt keinen Einfluss auf das Crowdfunding. So wird man dem Image einer uneingeschränkten Blockchain gerecht, auf die Gefahr hin, Betrügereien in Kauf nehmen zu müssen. Oder man trifft eine Vorselektion, um eben diese Betrügereien zu unterbinden, im Wissen eine gewisse Kontrolle und Zensur über die Blockchain auszuüben.
Wie hast du’s mit der Dezentralisierung?
Die entscheidende Frage, die sich Krypto-Investoren heute stellen: Wer setzt sich langfristig durch? Ethereum oder EOS? Um heute schon eine Antwort zu finden, wird überall nach möglichen Anhaltspunkten gesucht. So fokussieren sich die Anleger beispielsweise auch auf die jeweils prominentesten Köpfe hinter den beiden Projekte: Der Kampf zwischen Ethereum und EOS wird auf diese Weise auch zu einem Kampf zwischen Vitalik Buterin und Dan Larimer gemacht. Dabei berufen sich einige Ethereum-Anhänger auf den angeblich astronomisch hohen Intelligenzquotienten Buterins, den ihn zu einem noch grösseren Genie als Larimer machen würde. Die Gegenseite verweist derweil auf die Krypto-Projekte BitShares und Steem, die beide der Feder Larimers entsprungen sind und ihn deshalb zum Triumph führen würden. Letztlich sind diese Vergleiche zwar interessant, doch haben sie wenig Aussagekraft in Bezug auf die Zukunft der beiden Smart-Contract-Projekte.
Etwas aufschlussreicher sind projekt-spezifische Debatten, die unter anderem durch Vitalik Buterin und Dan Larimer angestossen worden sind. In der theoretischen Auseinandersetzung rangiert an oberster Stelle die Frage der Dezentralisierung. Bei der EOS-Blockchain ist es letztlich eine vergleichsweise kleine Anzahl an Knoten, welche das Netzwerk Instand halten. In einer Welt wie jener von Krypto, die sich die Dezentralisierung gesellschaftlicher Strukturen auf die Fahne geschrieben hat, weckt ein Blockchain-Konzept mit nur 21 Block-Produzenten natürlich Argwohn. Ist EOS dezentralisiert genug oder erinnern die 21 Block-Produzenten nicht eher an ein Kartell oder eine Oligarchie? Noch immer halten es viele ehrliche Krypto-Kenner für eine technische Unmöglichkeit, dem Blockchain-Trilemma, wonach es inhärente Trade-offs zwischen Sicherheit, Skalierbarkeit und Dezentralität gibt, auf der Ebene des Basis-Protokolls zu entkommen.
Aufseiten EOS gibt es einige Exponenten, für die Dezentralisierung kein absoluter Wert ist. Da Dezentralisierung immer mit rechnerischen sowie ökonomischen Kosten verbunden sei, müssten diesbezüglich Kompromisse eingegangen werden, um gleichwohl das Ziel der Massenskalierung von DApps erreichen zu können. EOS sei letztlich gerade so stark dezentralisiert, wie es die Skalierungsabsicht bedürfe. Dass es gerade 21-Blockproduzenten sind, sei auf die bisherigen Erfahrungen zurückzuführen, die Larimer mit seinen anderen DPoS-System «BitShares» und «Steem» gemacht hat. In Stein gemeisselt oder besser im Code festgeschrieben sei diese Zahl deshalb nicht. Im Lichte neuer Erkenntnisse könne diese auch abgeändert werden, so deren Argumente.
Andere Verfechter von EOS halten die EOS-Blockchain überhaupt nicht für weniger dezentralisiert als Ethereum. So weisen sie darauf hin, dass bei Ethereum drei Parteien mehr als 50 Prozent der gesamten Hashing Power auf sich vereinigten. Würden diese drei Akteure also zusammenspielen, könnten die Ethereum-Blockchain erfolgreich angegriffen und Transaktionen doppelt ausgegeben werden. Darüber hinaus hätten Larimers frühere Projekte «BitShares» und «Steem» gezeigt, dass DPoS-Systeme dezentralisierter seien, da die Miner bei Ethereum oder Bitcoin aufgrund skalenökonomischer Tatsachen eine inhärente Zentralisierungstendenz aufweisen würden.
Letztlich lässt sich die Dezentralisierungsdebatte wohl kaum jemals abschliessend beantworten. Es gibt schlichtweg zu viele Parameter innerhalb verteilter Konsens-Systeme, als dass sich die Krypto-Gemeinschaft jemals auf eine einheitliche Definition von optimaler Dezentralisierung einigen könnte. Der offensichtlichste Parameter – die Anzahl der Netzwerk-Knoten – ist nur eine Möglichkeit, den Grad an Dezentralität zu quantifizieren. Doch selbst dieser hat seine Tücken, bedeutet Quantität eben nicht immer Qualität: 1'000 Netzwerk-Knoten, die sich alle in einem Land befinden, sind kaum dezentraler als 21 Validatoren, die sich in den verschiedensten Jurisdiktionen auf der ganzen Welt befinden.
Neben dem Dezentralisierungsgrad wird bei öffentlichen Blockchains wie Ethereum oder EOS auch die Frage der Immutability oder Unveränderlichkeit heiss diskutiert. Unter dem Namen von «Code is Law» argumentieren einige: Eine öffentliche, nicht manipulierbare Blockchain dürfe niemals rückwirkend geändert werden, da eine solche Blockchain eben gerade nicht unveränderbar und daher als manipulierbar anzusehen sei. Würde eine öffentliche Blockchain einmal geändert, öffne das der Willkür Tür und Tor und würde somit den Charakter einer unveränderbaren Blockchain schliesslich ad absurdum führen.
Bei Ethereum wurden diese Fragen im Rahmen des DAO-Hacks bereits gründlich debattiert. Unter der Ägide von der Ethereum-Foundation, welche zu Governance-Zwecken gegründet worden ist, entschied man sich dafür, die Blockchain via Hard-Fork in Ethereum und Ethereum Classic aufzuspalten. Letztere ist jene Blockchain, bei welcher der DAO-Hack nicht rückgängig gemacht wurde, um so das Prinzip von «Code is Law» einzuhalten. Aufgrund dieses Vorfalls bekunden einige Krypto-Enthusiasten noch immer Mühe mit der breiten Ethereum-Community und halten Ethereum für eines jener Projekte, das sich selber untreu geworden ist.
Um es überhaupt nicht zu derartigen Auseinandersetzungen und potenziell bedrohlichen Hard-Forks kommen zu lassen, hat sich das EOS-Projekt dafür entschieden, den Code als nicht unantastbar anzusehen. Im EOS-Whitepaper stehen daher folgende Zeilen: «Manchmal verhält sich ein Smart Contract auf eine anormale oder unvorhersehbare Weise und funktioniert daher nicht wie beabsichtigt; manchmal kann eine Anwendung oder ein Konto einen Programmierfehler entdecken, der den Verbrauch einer unangemessenen Menge an Ressourcen möglich macht. Das solche Probleme nicht zu vermeiden sind, haben die Block-Produzenten die Möglichkeit, solche Situationen zu korrigieren.»
Bei den Gründern von EOS argumentiert man, dass die Block-Produzenten nur bei Fehlern intervenieren. Skeptiker halten dagegen, dass die Beurteilung von Fehlern letztlich stets subjektiv sei. Solche Bestimmungen würden bei EOS eine stets vorhandene Hintertür offen lassen, die Missbrauch nicht ausschliessen würde. Deshalb sei EOS prinzipiell manipulierbar und eben keine unveränderbare Smart-Contract-Plattform, so das Urteil der Kritiker.
Ein Kampf, der eigentlich keiner ist?
Interessanterweise haben viele EOS-Sympathisanten mit diesem Verdikt überhaupt kein Problem. Diesen Schluss vermitteln zumindest zahlreiche YouTube-Beiträge und Blogposts von EOS-Verfechtern. Es scheint so, als bestünde die EOS-Community generell eher aus Leuten, die ein gewisser Spielraum zur Einflussnahme einer völligen Aufsichtsunfähigkeit vorziehen. Immer wieder ist das Argument zu lesen, wonach es grundsätzlich als sinnvoll erachtet werden kann, wenn «demokratisch» gewählte Block-Produzenten in Notfällen wie einem Hack oder Bug im Sinne der EOS-Gemeinschaft intervenieren können.
Ethereum, EOS oder eine andere Smart-Contract-Plattform? Die Diskussionen darum, wer das Rennen machen wird, dürfte noch eine Weile anhalten. Ethereum hat mit Abstand die meisten Entwickler, weist dank der Enterprise Ethereum Alliance zahlreiche einflussreiche Firmen auf und ist noch immer die weitaus am meisten verwendete Crowdfunding-Plattform. EOS hat sich an seine eigene Blockchain gewöhnt und vereint vor allem mit Mike Novogratz, Peter Thiel und Jihan Wu drei der wohl namhaftesten Krypto-Investoren hinter sich.
Vor lauter Konkurrenzkampf geht jedoch vergessen, dass sich nicht zwingend nur eine Smart-Contract-Plattform durchsetzen muss. Sehr wahrscheinlich gibt es genügend Platz für mehr als nur einen Gewinner. So erinnert der Kampf um die Vorherrschaft unter diesen Plattformen denn auch an das Tauziehen der verschiedenen Betriebssysteme in den frühen Jahren des Computer- und Internetzeitalters. Genauso wie heute mit Mac, Windows und Linux mehrere Betriebssysteme existieren, dürfte sich auch dieses Mal kein alleiniger Sieger herausentwickeln. Viel wahrscheinlicher ist: Verschiedene Smart-Contract-Plattformen werden sich durchsetzen, die alle unterschiedliche Tradeoffs eingegangen sind, deshalb über unterschiedliche Stärken und Besonderheiten verfügen und somit koexistieren werden. DApps können sogar auf mehreren Smart-Contract-Plattformen gleichzeitig laufen. Bancor, ein Blockchain-Protokoll für die Schöpfung von Smart Tokens, beispielsweise hat bereits angekündigt, neben Ethereum auch EOS als Fundament zu verwenden.