Teil VII - Was Bitcoin blitzschnell werden lässt
Was beim Fahrrad die Innovation des kettengetriebenen Rädergetriebes war, könnte bei Bitcoin das Lightning-Protokoll sein: Ein übergeordnetes Netzwerk an sogenannten Payment Channels – zu Deutsch Zahlungskanäle –, die für ihre Funktionalität auf Smart Contracts basieren.
Um einen solchen Zahlungskanal zu starten, muss auf der Bitcoin-Blockchain eine Transaktion initiiert werden, welche die gewünschte Anzahl Bitcoin-Einheiten gewissermassen in diesen off-chain Zahlungskanal übersendet. Zwei oder mehrere Lightning-Nutzer können Teil eines solchen Zahlungskanal sein, während zumindest eine Partei den Zahlungskanal mit Bitcoin-Einheiten «auffüllen» muss. Haben alle Parteien der Einrichtung des Zahlungskanals zugestimmt, ist dieser offen. Alle an diesem Payment Channel teilhabenden Akteure können ab sofort beliebig viele Bitcoin-Transaktionen untereinander durchführen. Nach jeder Lightning-Transaktion lässt sich die Gesamtbilanz aktualisieren, so dass für die Nutzer im jeweiligen Zahlungskanal jederzeit ersichtlich ist, wem wie viele Bitcoin-Einheiten zustehen. Soll der Kanal geschlossen werden, wird erneut eine Transaktion auf der Bitcoin-Blockchain ausgelöst. Jeder Akteur erhält die Summe an Bitcoin-Einheiten, welche ihm gemäss der aktuellen Bilanz des Zahlungskanals zusteht. Ab jetzt sind die Bitcoin-Einheiten sozusagen wieder on-chain und der Zahlungskanal ist geschlossen.
Folgendes Paradebeispiel veranschaulicht den Vorgang: Alice und Bob schicken je vier Bitcoin-Einheiten an eine spezielle Bitcoin-Adresse. Diese Adresse wird von beiden gemeinsam über ihre jeweiligen privaten Schlüssel kontrolliert und wird daher auch Multisignature-Adresse oder kurz Multisig-Adresse genannt. Sowohl Alice als auch Bob initiieren eine spezielle Smart-Contract-Transaktion. Diese ist gültig, noch aber nicht in der Bitcoin-Blockchain registriert und umfasst die Information, dass Alice sowie Bob jederzeit den Zahlungskanal schliessen und die ihnen zustehenden Bitcoin-Einheiten erhalten können.
Zahlt Alice nun Bob über den Zahlungskanal einen Bitcoin, verringern sich ihre anfänglich eingezahlten vier Bitcoin-Einheiten um einen Bitcoin. Bob stehen neu nicht mehr vier, sondern fünf Bitcoin-Einheiten zu. Auf diese Weise können Alice und Bob beliebig viele Beträge miteinander austauschen. Da sie gemeinsam acht Bitcoin-Einheiten in den Zahlungskanal einbezahlt haben, sind sie an dieses Betragslimit gebunden. Zu jedem Zeitpunkt können sich die beiden entscheiden, ihre Salden zu begleichen. Dann signiert Alice oder Bob einfach eine endgültige Transaktion auf der Bitcoin-Blockchain und beide empfangen die ihnen zustehenden Bitcoin-Einheiten. Angenommen sie haben nur diese eine Transaktion durchgeführt, wird Alice drei und Bob deren fünf Bitcoin-Einheiten erhalten. Natürlich muss ein Lightning-Zahlungskanal nicht bidirektional sein. Das heisst: Es kann auch nur eine Partei Bitcoin-Einheiten in den Kanal einbringen und zur Bezahlung der Dienstleistung einer anderen Partei nutzen. Zum Beispiel kann eine Privatperson einen Zahlungskanal mit Star Bugs eröffnen und jeden Morgen ihren Frappucino über das Lightning-Netzwerk bezahlen.
Kryptografie wirkt Wunder
Der Zusammenhang zwischen dem Lightning-Netzwerk und der Bitcoin-Blockchain kann mittels einer weiteren Analogie verdeutlicht werden, jener des klassischen Gold-Standards. So kristallisierte sicher während dieser Zeit die allgemeine Praxis heraus, Gold Bloss als zugrundeliegend Verrechnungseinheit zu nutzen. Im alltäglichen Geschäft war Goldmünzen vor allem aber auf Gold lautende Geldzertifikate im Umlauf. Diese Noten waren weitaus bequemer und einfacher in der Handhabung.
Ähnlich dieser für Gold einlösbarer Schuldscheine sind off-chain Lightning-Transaktionen ebenfalls gewissermassen als Schuldscheine zu betrachten, während on-chain Transaktionen auf der ihnen zugrundeliegenden Bitcoin-Blockchain, dem Gold gleich, der Verrechnung dienen. Doch der gewichtige Unterschied besteht darin: Im Gegensatz zu den meisten von Banken emittierten Geldzertifikaten sind Lightning-Schuldscheine dank der Kryptografie jederzeit vollständig und nicht bloss teilbesichert sowie über Smart Contracts immer einlösbar. Ein off-chain Lightning-Zahlungskanal ist wohl am ehesten mit einem Sichtguthabenkonto zu vergleichen, während die on-chain Bitcoin-Wallet einem Sparkonto entspricht.
Mittels Kryptografie wird darüber hinaus auch sichergestellt, dass kein Lightning-Nutzer einen anderen betrügen kann. Zum Beispiel ist es Alice nicht möglich, die von ihr und Bob im Zahlungskanal «hinterlegten» Bitcoin-Einheiten für immer zu blockieren, indem sie die Transaktion zur Schliessung des Kanals niemals signiert. So gibt es eine kryptografische Garantie, dass im Zahlungskanal «brachliegende» Bitcoin-Einheiten nach einer gewissen Zeit wieder freigegeben werden. Gleiches gilt auch, wenn eine Partei permanent vom Internet und damit vom Lightning-Netzwerk abgeschnitten ist.
Auch vermag Alice Bob nicht über die aktuellen Bilanzpositionen innerhalb des Zahlungskanals zu täuschen. Versucht sie eine frühere Version an die Bitcoin-Blockchain zu kommunizieren, bei der ihr noch mehr Bitcoin-Einheiten zustehen, kann Bob intervenieren. Alle Bitcoin-Einheiten von Alice werden dann umgehend eingefroren, während Bob eine Straf-Transaktion initiierten kann, die ihm seine und sämtliche Bitcoin-Einheiten von Alice überträgt. Es ist dieser Bestrafungsmechanismus, der vor Betrug abschrecken soll.
Damit diese Kontroll- und Ahndungsystem einwandfrei funktioniert, muss Bob sich von Zeit zu Zeit immer wieder einmal mit dem Lightning-Netzwerk via Internet verbinden. Damit man als Lightning-Nutzer innerhalb eines gewissen Zeitintervalls jedoch nicht zwingend selber online sein muss, sind sogenannte «Watchtowers» vorgesehen. Dabei soll es sich um Lightning-Nodes handeln, deren Dienste man als Nutzer als Stellvertreter-Kontrollinstanz nutzen kann. Stellt eine solche Node in der Abwesenheit von Bob eine unehrliche Transaktion durch Alice fest, könnte sie die Straf-Transaktion für Bob auslösen und dabei eine Gebühr mitverdienen.
Das Betreiben eines Zahlungskanals erfordert also eine Menge Buchhaltungs- und Kontrollarbeit. Natürlich soll dies alles in der richtigen Umsetzung dereinst hinter den Kulissen über die jeweilige Applikation ablaufen, so dass die Nutzer bequem Transaktionen durchführen können.
Bislang haben wir einen einzelnen Zahlungskanal betrachtet. Seinem Namen nach ist das Lightning-Netzwerk jedoch ein Netzwerk. Das meint allerdings nicht, dass man als Lightning-Nutzer mit jeder anderen Partei im Netzwerk einen Zahlungskanal öffnen muss, um mit anderen Parteien interagieren zu können. Über das Routing kann eine Zahlung über mehrere Nutzer – computertechnisch als Hops bezeichnet – zu einem entsprechenden Zielempfänger geroutet werden. Auf diese Weise kann Alice über das Lightning-Netzwerk Bitcoin-Einheiten via Bob an Carol senden, ohne über einen eigenen Zahlungskanal mit ihr offen zu haben.
Auch hier garantiert die Kryptografie wieder, dass die jeweils gewählten Routing-Nodes, die zwischen einer Sender- und Empfängerpartei liegen, nicht betrügen und die Bitcoin-Einheiten einstecken können. Wie es sich für Bitcoin gehört, muss Alice Bob nicht vertrauen, sondern weiss, dass ihre Bitcoin-Einheiten auf kryptografisch gesichertem Weg bei Carol ankommen.
Aufgrund dieser Routing-Struktur des Lightning-Netzwerk dürfte eine ökonomische Folge sein, dass sich innerhalb des Netzwerkes Knotenpunkte etablieren werden, die mit vielen Nutzern einen Zahlungskanal offen haben und deshalb einen gewichtigen Teil des Lightning-Zahlungsverkehrs abwickeln werden. Für diese Dienstleistung würden dann wohl auch Gebühren erhoben.
Dass das Lightning-Netzwerk, wie vielfach gesagt, Bitcoin-Transaktionen faktisch zum Nulltarif ermöglichen würde, dürfte nicht in allen Fällen stimmen. Gewiss befähigt das Lightning-Netzwerk einen engagierten und sachkundigen Nutzer möglichst viele eigene Zahlungskanäle offen zu haben und so zu vernachlässigbaren Gebühren Zahlungen auszuführen. Sollte das Lightning-Netzwerk jedoch je länger wie mehr bei den Massen Verwendung finden, werden sich wohl allerlei Dienstleister wie Zahlungshubs oder «Watchtowers» etablieren. Da es jedem Nutzer offen steht, zu relativ geringen Kosten, die gleiche Dienstleistung anzubieten, dürfte ein sich entwickelnder Gebührenmarkt auf dem Lightning-Netzwerk hoch kompetitiv sein.
Innovation oder alter Wein in neuen Schläuchen?
Die Idee, kryptographisch signierte, auf Bitcoin lautende Schuldscheine über ein Netzwerk von Zahlungskanälen abzuwickeln, ist genial. Aufmerksame Beobachter würde allerdings anmerken: Im Prinzip haben wir diese Idee in unserer derzeitigen Welt über ein Bankensystem verwirklicht. Dieses hantiert heute fast ausschliesslich mit Schuldverschreibungen und Wertverpflichtungen.
Unser heutiges Finanzsystem, das einst wie bereits beschrieben mit dem Gold-Standard begonnen hat, wird heute nicht zuletzt von Bitcoin-Enthusiasten als dysfunktional angesehen. Dass mit dem Lightning-Netzwerk nun die Entwicklung für eine Art Bankensystem auf der Bitcoin-Blockchain möglich wird, wird skeptisch beäugt. Wenn auch kryptografische Garantien das Lightning-Netzwerk weniger vertrauensabhängiger machen als das konventionelle Bankensystem, so wird ersteres – sollte es tatsächlich bei den Massen Verwendung finden – gleichwohl von zentralistisch organisierten Dienstleistern bevölkert sein.
An dieser Stelle wird ersichtlich: Im Bestreben zu skalieren, muss letztlich auch Bitcoin den Trade-off zu einer gewissen Zentralität eingehen. Im Unterschied zum bestehenden Finanzsystem lässt sich dieser Trade-off allerdings auf einen Zusatz-Layer auslagern, so dass die Non-Zentralität des Basis-Layers nicht beeinträchtigt ist. Während das traditionelle Bankensystem also selbst auf der Ebene des Settlement-Layers zentralistisch und daher einfacher manipuliert werden kann, ist die Bitcoin-Blockchain als Basis-Layer weder steuer- noch veränderbar.
Natürlich haben die Wesenseigenschaften – non-zentral oder zentralistisch – des jeweiligen Settlement-Layers Auswirkungen auf die jeweils darauf bauenden Zusatz-Layers. Zentralbanken, die nicht nur Transaktionen zensieren können, sondern auch geldpolitische Interventionen durchführen, manipulieren gewissermassen den Settlement-Layer unseres heutigen Geldsystems. Diese seit der Schaffung von Zentralbanken praktizierte monetäre Ausweitung hat, wie es der Cantillon-Effekt treffend beschreibt, allerlei Verzerrungen zur Folge: Aus diesen Verzerrungen wiederum resultiert unweigerlich, dass Kunden und Sparer nicht mehr die Souveräne innerhalb unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen Strukturen sind. Die Marktwirtschaft ähnelt dann immer weniger einer Demokratie, in der jeder Cent oder Rappen einen Stimmzettel darstellt, wie es der bedeutende Ökonomen Ludwig von Mises beschrieben hat. Geldpolitisch forcierte, künstliche Skaleneffekte blähen Unternehmen auf eine ungesunde Grösse auf, wie sie so von Kunden nie verlangt würde. Die Geldmengenausweitung befeuert künstlich einen Konsumismus, der seinerseits die Werbung als Einnahmequelle künstlich lukrativer macht und Unternehmen mehr auf Werbung konzentrieren lässt, als es der Kunde wünschen würde. Oder Unternehmen richten sich in ihrer Entscheidungsfindung vermehrt direkt an der Geldpolitik und dem durch die fortschreitende Finanzialisierung der Wirtschaft wichtiger gewordenen Aktionär aus, anstatt auf den Kunden zu schauen.
Ist der Kunde nicht mehr König, haben Verzerrungen zur Folge, dass Anreize überdehnt oder gar in die falsche Richtung tendieren. Unangenehme Handlungen, sinnlose Tätigkeiten oder gar schädliche Aktivitäten müssen dann regulatorisch gezügelt oder gar ganz unterbunden werden. Daher wohl auch der Eindruck, dass unser heutiges, gemeinhin marktwirtschaftlich interpretiertes Bankensystem zu übermässiger Regulation oder gar Zensur neigt.
Beim Bitcoin-Settlement-Layer gibt es dieses Problem nicht – die Grundlage für das Lightning-Netzwerk und andere Zusatzprotokolle ist eine fundamental andere. Die Bitcoin-Blockchain kennt keine verzerrende Geldpolitik. Viel eher das Gegenteil ist der Fall: Wie viele Bitcoin wann geschaffen werden, ist algorithmisch festgelegt und daher genaustens vorhersehbar. Die Geldmengenausweitung bleibt also unverändert, ist transparent und somit für auf Zusatzprotokollen agierende Akteure besser einkalkulierbar. Auch sollte die Gefahr viel geringer sein, dass Anreizstrukturen, wie auf dem Lightning-Netzwerk beispielsweise, überdehnt und verzerrt würden.
Eine Kombination, die alles verändern dürfte
Das Lightning-Netzwerk ist allerdings nicht bloss ein simpler Zusatz, sondern erhöht die Genialität Bitcoins noch einmal um eine Potenz. Unser heutiges Bank- und Finanzsystem, ja unser gesamtes Wirtschaftssystem basiert auf dem Prinzip der doppelten Buchführung. Dieses fand vor ungefähr 500 Jahren im damals aufstrebenden Italien der Renaissance erstmals breitere Anwendung und setzte sich aufgrund seiner Überlegenheit gegenüber der einfachen Buchführung durch. Mit der doppelten Buchführung wurde Betrug im Handel um einiges schwieriger macht, wurden alsbald unabhängige Drittparteien als Prüfer eingesetzt. Doch wie die Historie zeigt, können selbst externe Revisoren Betrugsfälle übersehen oder gar manipuliert werden. Wäre es da also nicht schön, man hätte ein Buchhaltungssystem, dass Betrug inhärent ausschliesst und keine manuellen Prüfungen durch potenziell manipulierbare Dritte erfordert?
Mit der Bitcoin-Blockchain wurde ein solches System, man könnte es als dreifach geführte Buchführung bezeichnen, erstmals realisiert. Bei der Dreifachbuchführung führt jeder Teilnehmer in der gesamten Wirtschaftsstruktur Buch über deren Geschäfte und Transaktionen. Die Schwelle, erfolgreichen Betrug zu begehen, wird so nochmals um einiges erhöht. Da jeder Wirtschaftsteilnehmer oder allgemein formuliert jeder Netzwerkteilnehmer jede Transaktion überschauen kann, vermag niemand anderes Geschäfte und Transaktionen zu manipulieren, ohne dass es auffallen würde. Zudem braucht es auch keine externen Prüfer, da deren Aufgabe durch das Netzwerk selber erledigt wird. Ist das Wirtschaftssystem oder Netzwerk also non-zentral strukturiert, wie das bei Bitcoin der Fall ist, verfügt es über eine Sicherheit und Betrugsresistenz, die kein auf der doppelten Buchführung basierendes System jemals gewährleisten kann.
Die Kehrseite eines Dreifachbuchführungssystems haben wir in diesem Kapitel jedoch ausgeführt: Muss jeder jede Transaktion aufzeichnen, verringert das die Transaktionskapazität des Netzwerkes. Auch haben wir bereits ausgeführt, dass es keine wirkliche Lösung sein kann, den Zugang und die Zahl der Netzwerk-Validatoren zu beschneiden. Das zentralisiert das Netzwerk wieder und führt zu den bereits ausführlich beschriebenen Problemen unseres heutigen auf dem Prinzip der doppelten Buchführung basierenden Wirtschaftssystem. Es macht wenig Sinn, ein revolutionäres dreifach geführtes Buchführungssystem dem alten Doppelbuchführungssystem anzupassen und dabei den revolutionären Aspekt aufzugeben, nur damit ersteres mit letzterem mithalten kann.
Und genau hier kommt das Lightning-Netzwerk ins Spiel. Mithilfe dieses Zusatzprotokolls lässt sich ein doppeltes Buchführungssystem auf der Basis eines dreifach geführten Buchführungssystems etablieren. Auf diese Weise kriegt man die Kapazität und Schnelligkeit des ersten und die Sicherheit und Vertrauensminimierung des zweiten. Die Genialität in der Kombination von Bitcoin und Lightning-Netzwerk liegt also darin begründet, dass alle über das Lightning-Doppelbuchführungssystem abgewickelten Transaktionen durch das Dreifachbuchführungssystem der Bitcoin-Blockchain gesichert sind. Da das Eröffnen und «Füllen» sowie das Schliessen und «Leeren» eines jeden Zahlungskanals stets mit einer Transaktion auf der Bitcoin-Blockchain einhergehen muss, ist jeder Zahlungskanal ein durch die Bitcoin-Blockchain geprüftes geschlossenes System. Es können keine Bitcoin-Einheiten aus dem Nichts erschaffen werde. Jeder Zahlungskanal wird immer über so viele Bitcoin verfügen, wie in der Bitcoin-Blockchain niedergeschrieben sind. Und selbst innerhalb des Zahlungskanals ist Manipulation und Betrug aufgrund von kryptografisch einprogrammierten Smart Contracts ausgeschlossen. Auf diese Weise kombinieren Bitcoin und das Lightning-Netzwerk das Beste von beiden Buchführungssystemen.
Auf den ersten Blick ist das Lightning-Zusatzprotokoll also «nur» ein aus kryptografisch gesicherten Zahlungskanälen bestehendes Online-Netzwerk. Wer allerdings genauer hinschaut, erkennt: In Kombination mit der Bitcoin-Blockchain als Settlement-Layer ergibt sich ein Netzwerk, deren Zahlungskanäle eigentlich viel mehr sind: Einvernehmlich vereinbarte Bitcoin-Smart-Contracts, die nur mit der ausdrücklichen Zustimmung beider Parteien aktualisiert werden können. Jeder Kanal verfügt über einen on-chain-Reservenachweis, hat eine Austritt-Wartezeit, wenn nur eine Partei anwesend ist, besitzt gewissermassen eine eingebaute Versicherungspolice im Streitfall sowie eine Strafklausel für den Fall, dass eine Partei die andere zu betrügen versucht.
Diese ausgeklügelte Struktur legt den Schluss nahe, dass sich auf dem Lightning-Netzwerk das Äquivalent zum heutigen Sparkonto bilden dürfte, immerhin sind alle notwendigen Bausteine geben. Zum traditionellen Sparkonto dürfte es allerdings auch in diesem Fall einen gewichtigen Unterschied geben: Die jeweilige Höhe der Zinsen. Die Zinsen von Lightning-Sparkonten dürfte im Vergleich zu denjenigen der klassischen Finanzwelt höher, wenn nicht sogar um einiges höher sein.
Warum das? Anderes als in unserem heutigen Bankensystem würde die relevante Zinsrate innerhalb des Lightning-Netzwerkes peer-to-peer über einen non-zentralisierten Markt zustande kommen. Der Zins könnte also nicht, wie gegenwärtig der Fall – durch Zentralbanken und die Geldschwemme künstlich nach unten verzerrt werden.
Kritiker mögen einwenden: Stimmt es überhaupt, dass die Zinsen heute künstlich verzerrt sind? Könnten die Null- oder mancherorts gar Negativzinsen nicht auch natürlichen Ursprungs sein, lautet das Gegenargument? Ökonomisch betrachtet, wäre ein Nullzins dann natürliche Entwicklung, wenn Menschen eine extrem niedrige Zeitpräferenz zeigen würden. In der Realität scheint das aktuell allerdings bei einer Mehrzahl der Menschen kaum der Fall zu sein. Gegen das Argument sprechen letztlich gewichtige Gründe: Das Gros der Menschen zeigt heute keine hohe Sparsamkeit, Askese, Zukunftsorientierung oder Transzendenzbezug – alles Attribute einer niedrigen Zeitpräferenz. Die tiefen Zinsen der Gegenwart sind daher vielmehr als Folge von Intervention und des Umstands, dass Finanzmittel künstlich geschaffen werden, bevor sie real verdient worden sind, zu deuten. Zudem dürfte eine Rückkehr zu höheren Zinsen wirtschaftlich sowie politisch kaum mehr tragbar sein – zu gross ist die Schuldenlast von Haushalten, Unternehmen und Staaten.
Geht man davon aus, dass die Zinsen heute künstlich-irreversibel nach unten manipuliert sind und nicht der eigentlichen (Zeit-)Präferenzen der Menschen entsprechen, ist folgende Erwartung nicht unplausibel: Menschen werden für Finanzgeschäfte und Sparkonto in die neue non-zentrale Welt von Bitcoin und Lightning abwandern, in welcher der Zins ihre realen Präferenzen eher entspricht. Die nächsten Jahre bis Jahrzehnte werden in dieser Hinsicht also mehr als spannend.
Die Entwicklung geht noch viel weiter
Damit das Lightning-Netzwerk die heutige Finanzwelt substanzielle nachahmen kann, braucht es noch viel Entwicklung – immerhin befinden wir uns nach wie vor ganz am Anfang. Vollständige Teilnahme am Netzwerk – also das Senden und Empfangen von Lightning-Transaktionen – ist auch Ende 2018 nur durch das Betreiben einer vollwertigen (internen) Lightning-Node möglich. Das erfordert technisches Wissen, weshalb mehr und mehr einfacher Varianten entstehen sollen. Darüber hinaus muss eine Lightning-Zahlung noch über eine einzige Route geleitet werden. Will Alice beispielsweise vier Bitcoin an Dave bezahlen, muss dafür aber via Bob und Carol gehen, weil sie mit Dave keinen direkten Zahlungskanal offen hat, braucht nicht nur Alice, sondern auch Bob und Carol, vier Bitcoin in ihrem Zahlungskanal. Angesichts dieses Umstands dürften grössere Zahlungen derzeit noch scheitern. Dank Atomic Multi-Path Payment (AMPs) sollte diese Problematik jedoch gelöst werden können. Genauso soll das Splicing die Verwendung von Lightning nahtloser machen: Damit soll ermöglicht werden, dass Benutzer einen bestehenden Zahlungskanal aufladen oder Bitcoin davon abziehen können.
Neben technologischen Fortschritten dürfte das Lightning-Network auch noch in einfach bedienbare Applikationen gegossen werden, damit es von Menschen verwendet werden kann, die eben kaum technisches Wissen mitbringen. Wie bei vielen durch das Internet ermöglichten Errungenschaften wie Web-Browser, Email-Software und Video-Streaming, die in ihren Anfängen allesamt sperrig waren, dürften wir das Lightning-Netzwerk mittelfristig über Applikationen verwenden, ohne es überhaupt zu merken.
Doch bis dato scheint das Lightning-Netzwerk als Second-Layer-Lösung in der Tat Bitcoins vielversprechendster Skalierungsversuch zu sein. Als Internet-Protokoll können auf dem Bitcoin natürlich noch viele weitere Zusatzprotokolle lanciert werden. So wurde bereits eine erste sogenannte Sidechain gegen Ende 2018 implementiert. Dabei handelt es sich um eine separate Blockchain, die aber mit der gewöhnlich als Mainchain bezeichneten Bitcoin-Basis-Blockchain in Verbindung steht. In erster Linie sollen Bitcoin-Sidechains ermöglichen, was die Bitcoin-Blockchain eben nicht kann: Privatsphäre im Falle von Mimblewimble, Turing-Vollständigkeit und somit komplexe Smart-Contract-Funktionalitäten im Falle von RootStock sowie schnelle und günstige Transaktionen wie im Falle von Lightning oder eben Liquid.
Die Sidechain Liquid verwendet L-BTC als eigene Währung. L-BTC sind an Bitcoin gekoppelt – das garantiert einen festen Wechselkurs zwischen den beiden Assets. Um L-BTC innerhalb des Liquid-Netzwerkes zu schaffen, müssen Bitcoin von der Mainchain auf die Sidechain übertragen werden. Für die Zeit, wo sich die Bitcoin gewissermassen auf der Sidechain befinden, sind die Bitcoin auf der Basis-Blockchain eingefroren. Werden die Bitcoin wieder zurückmigriert, werden die L-BTC vernichtet und die entsprechenden Bitcoin auf der Mainchain freigegeben.
Um die Bitcoin von der Sidechain wieder auf die Mainchain zu übertragen, muss der Liquid-Nutzer über sogenannte Liquid-Funktionäre gehen. Denn eine Sidechain besitzt andere Konsensus-Regeln als die Bitcoin-Blockchain, liegt der Zweck doch gerade darin, über das Eingehen unterschiedlicher Trade-offs andere Ziele zu realisieren.
Die Schaffung eines neuen Blockes beträgt bei Liquid nicht wie bei der Bitcoin-Blockchain zehn Minuten, sondern bloss deren zwei. Eine Transaktion ist daher viel schneller finalisiert. Dies auch deshalb, weil die Transaktionen autorisiert und nicht «gemint» werden. Sidechain-Transaktionen sind wie Lightning-Transaktionen geheim, was Nutzern mehr Privatsphäre also auf der Bitcoin-Mainchain ermöglicht.
Natürlich kann man sich mit Sidechains nicht urplötzlich über das Blockchain-Trilemma hinwegsetzen. Im Falle von Liquid wird dieses nun einfach zugunsten der Skalierung aufgelöst, während der bei der Bitcoin-Blockchain so wichtige Aspekt Non-Zentralität aufgeweicht wird. So ist die Liquid-Sidechain wohl als «Federated Blockchain» einzustufen. Liquid ist zwar open-source, kann durch die einzelnen Nutzer validiert werden und soll interessierten Akteuren zur Verwendung offenstehen. Die die Föderation bildenden Funktionäre – unterschiedliche Krypto-Handelsbörsen sowie die Swiss Digital Exchange – sind aber als verwaltende Instanz innerhalb des Liquid-Netzwerkes tätig: Über sie wird das «Onboarding» der Bitcoin von der Mainchain auf die Sidechain abgewickelt. Zudem autorisieren sie die jeweils neuen Blöcke für die Liquid-Blockchain.
Im Prinzip können die Funktionäre also die Liquid-Blockchain verändern und gleichzeitig haben sie auch die Möglichkeit, geforderte Bitcoin-Übertragungen von Side- zu Mainchain nicht auszuführen. Wer die Vorzüge von Liquid für seine Zwecke nutzen möchte, dürfte sich dieser Tatsache jedoch bewusst sein. Für gewisse Aufgaben und Handlungen werden Mittelsmänner wohl immer benötigt werden. Aus diesem Grund soll auch Bitcoin über Sidechains dieses Bedürfnis abdecken können. So hat man die Wahl: Will ich lieber Intermediären auf der Grundlage eines dezentralisierten Geldes oder aber Intermediäre auf der Basis eines zentralistisch gesteuerten Gelds vertrauen?
Die Vorzüge der Liquid-Sidechain liegen darin begründet, dass sich über das Bitcoin-System die Tokenisierung aller möglichen Assets vorantreiben lässt. So sollen staatlichen Währungen tokenisiert werden können – aber auch digitale Sammelstücke, beglaubigte Vermögenswerte, Nutzungs- oder Anlagetoken. Sogar die Tokenisierung anderer Altcoins kann über die Liquid-Blockchain bewerkstelligt werden, was wiederum Atomic Swaps, also Blockchain übergreifender Token-Handel, erleichtert. Theoretisch könnten Bitcoin-Sidechains wie Liquid Altcoins letztlich gar obsolet werden lassen. So ermöglichen sie einiges, das sich die verschiedenen Altcoins auch auf die Fahnen geschrieben haben – nur halt eben über die non-zentralen und vertrauensminimierenden Strukturen des Bitcoins.