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Geld – wenn unterschiedliche Perspektiven Perspektive geben


Als Menschen sind wir gerne rational. Etwas nicht zu verstehen ist uns unangenehm – ja oftmals schämen wir uns sogar dafür. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass wir Menschen so oft Dinge verwenden, von denen wir nicht die leiseste Ahnung haben, wie und weshalb diese genau funktionieren.


Für uns Menschen ist das ein Glücksfall. Denn sind wir ehrlich, müssen wir feststellen: Die Welt mit all ihren Objekten und Angelegenheiten ist viel zu komplex und gleichzeitig ist unsere Lebenszeit, ja unsere Lebenskraft viel zu begrenzt, als dass wir imstande wären, alles und jedes bis ins kleinste Detail zu begreifen.


Eines der faszinierendsten Phänomene, dessen Wesen und Funktionalität etliche Menschen kaum verstehen – auch viele Ökonomen, die von sich glauben, es zu verstehen – ist Geld. Dieses Phänomen ist deshalb faszinierend, weil eine überwiegende Mehrheit jeden Tag zum eigenen Nutzen Geld verwendet, ohne sich zu fragen, warum Geld die Funktionalität erfüllt, die es eben erfüllt.


Mit dem Aufkommen der Kryptowährungen und speziell in der Schweiz mit der Vollgeld-Initiative, über die hierzulande wohl noch in diesem Jahr abgestimmt werden wird, entflammte bei einigen folgende Hoffnung: Wieder einmal würde man über Geld nachdenken, anstatt es einfach nur besitzen zu wollen. Fragen nach dem Wesen und der Funktionalität des Geldes, ja die Frage danach, was denn gutes Geld überhaupt ausmache, würden in den Vordergrund gerückt, so die optimistische Aussicht.


Die Realität zeigte allerdings schnell, dass die theoretische Diskussion – eine allumfassende Betrachtung der Materie aus historischer, ideengeschichtlicher, philosophischer und ökonomischer Sicht – gewohnt oberflächlich ausfällt. Bei den Kryptowährungen sind viele einfach nur darauf aus, schnell reich zu werden. Und bei der Initiative geht es einfach nur um eine Abstimmung von vielen, die es zu gewinnen gibt und um Politik, in welcher es sich zu profilieren gilt. Die (Parteien-)Politik nimmt sich heute viel zu «ernst» und mit ihr die politischen Akteure, als dass sie in Sachen fruchtbarer Debatte und erkenntnisreicher Auseinandersetzung einen Mehrwert bringen könnte. Wer sich an dieser Stelle zu Unrecht angegriffen fühlen sollte, hat diese Kritik weniger als eine persönliche als vielmehr eine systematische zu verstehen.


Deshalb versucht sich die vorliegende Analyse das Wesen und die Funktionalität von Geld etwas genauer auszuleuchten. Erst eine ideengeschichtliche Betrachtung sowie die Berücksichtigung philosophischer, ökonomischer und anthropologischer Elemente vermag Geld als urmenschliches Phänomen und Bedürfnis etwas verständlicher zu machen.


Damit man die Ideengeschichte rekapitulieren kann, bedarf es eines Anfangs, womit die Geschichtserzählung begonnen werden kann. Dieser Anfangspunkt ist im vorliegenden Fall eng mit folgenden Fragen verknüpft: Was ist Geld? Welchen Zweck erfüllt Geld? Und schliesslich, wie ist Geld entstanden?


Wie so oft wenn die Fragen konkreter Natur sind, gebärden sich dafür deren Antworten alles andere als eindeutig beantwortbar. Es gibt hier nicht die eine wahre Antwort, denn Geld speist sich grundsätzlich aus den Handlungen mindestens zweier oder mehrerer Menschen, ist gewissermassen eng mit Tauschakten verbunden und wird daher von den unterschiedlichsten Menschen verschiedenartig interpretiert. Natürlich liefert die Historie stets wertvolle Anhaltspunkte. Doch sogenannte historische Fakten sind immer auch eine willkommene Fläche, um eigene ideologische Überzeugungen zu spiegeln und erbringen für letztere eben die nötige Evidenz. Auf diese Weise verfügt jedes ideologische Lager über historische Fakten. Was historische Fakten dann halt aber eben nur zu historischen «Fakten» macht. Gewiss sollten historische Fakten stets durch gute Theorie, in diesem Fall durch Gedanken realistischer Ökonomik, Philosophie und Anthropologie ergänzt werden.


Generell lassen sich drei verschiedene Perspektiven (ideologische Denkweisen) auf das Geld unterscheiden, die alle mittels der jeweiligen historischen «Fakten» untermauert werden können: die kommunitaristische, die marktwirtschaftliche und die staatliche Perspektive. Gleichzeitig sind ebenfalls drei Geldarten zu nennen – Ludwig von Mises, einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts formulierte diese in seinem epochalen Werk «Theorie des Geldes und der Umlaufmittel»:


Wir wollen jenes Geld, das zugleich eine Ware im Sinne der Warenkunde ist, Sachgeld, jenes Geld hingegen, das aus juristisch besonders qualifizierten Stücken hergestellt, keine technologischen Besonderheiten aufweist, Zeichengeld nennen. Als dritte Kategorie wollen wir mit der Benennung Kreditgeld jenes Geld bezeichnen, welches ein Forderungsrecht gegen irgendeine physische oder juristische Person beinhaltet. (Ludwig von Mises)


Diese Geldarten – Sachgeld, Kreditgeld und Zeichengeld – sind in der historischen Entwicklung des Geldes kaum präzise voneinander abzutrennen, sondern überlappen sich. Auch werden sie von den verschiedenen Geld-Perspektiven unterschiedlich gewichtet und bewertet.


Die kommunitaristische Perspektive hat ihren Fokus auf der Gemeinschaft, der Sippe. Dass sich der Mensch instinktiv nach der engvertrauten Sippe sehnt, hat unter anderem Friedrich August von Hayek herausgestrichen. So haben die Menschen die längste Zeit ihrer Existenz auf diesem Planeten in vergleichsweise kleinen Gemeinschaften gelebt. Folglich scheint die kommunitaristische Perspektive auch durch das meiste Anschauungsmaterial belegt zu sein. Umso paradoxer ist, dass diese Sichtweise auf das Geld in der Ergründung desselben gemeinhin am wenigsten Beachtung findet.


In seinem Monumentalwerk Schulden: die ersten 5000 Jahre dokumentiert der Anthropologe David Graeber verschiedenste Arten solchen gemeinschaftlichen Geldes. Auf diese Weise will er zeigen,

dass virtuelles Geld gar nichts Neues ist. Es war sogar die Urform von Geld. Kreditsysteme, Anschreiben, auch Ausgabenkonten gab es lange bevor es Bargeld gab. (David Graeber)


Die Urform des Geldes war jene der Sippe und innerhalb der Sippe entfällt in aller Regel die Verwendung von Geld in physischer Form, wie das uns heute bekannte Münz- oder Papiergeld es ist. Der Anthropologe Graeber schreibt:


Die Standardversion der Wirtschaftsgeschichte hat wenig mit dem zu tun, was wir sehen, wenn wir betrachten, wie das Wirtschaftsleben tatsächlich abläuft, in realen menschlichen Gemeinschaften und auf realen Märkten fast überall. In der realen Welt hat jeder in zahlreichen unterschiedlichsten Formen bei allen anderen (Mit-)Menschen Schulden, und die meisten Transaktionen finden ohne Verwendung einer Währung statt. (David Graeber)


Das «Geld» in einer Sippe definiert sich nicht selten über gegenseitige Schenkungsakte, die sich in einer Art Schenkökonomie die Waage hielten. Schenkungen, Gefälligkeiten und einseitige Tauschakte innerhalb einer engverbundenen Gemeinschaft wurden entweder in den Köpfen der einzelnen Sippenmitglieder registriert oder aber über freies Anschreiben festgehalten. Die zahlreichen Schenk- und Tauschakte beruhten langfristig auf Gegenseitigkeit. Wer anderen mehrfach einen Gefallen erwies, durfte sich über zukünftige Gegengaben durch die Gemeinschaft freuen. Das «Geld» der Sippe erscheint so als blosses Zeichensystem, ein Zeichengeld also, das gewissermassen der Dokumentation der Schenk- und der daraus resultierenden Schuldverhältnisse dient. Wie stark die einzelnen Sippenmitglieder ihren jeweiligen Schulden nachkamen, hing stark vom Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gemeinschaft ab. Und würden sich zu grosse Unterschiede in den gegenseitigen Schuldverhältnissen entwickeln, bestand immer noch die Möglichkeit der Schuldenerlassung. Schon die Bibel erwähnt die Sabbatjahre, deren Entschuldung ungleiche, gesellschaftliche Beziehungen wieder zu gleichen, gemeinschaftlichen Beziehungen werden lässt:


In jedem siebten Jahr sollst du die Ackerbrache einhalten. Und so lautet eine Bestimmung für die Brache: Jeder Gläubiger soll den Teil seines Vermögens, den er einem andern unter Personalhaftung als Darlehen gegeben hat, brachliegen lassen. Er soll gegen den andern, falls dieser sein Bruder ist, nicht mit Zwang vorgehen; denn er hat die Brache für den Herrn verkündet. (Bibel, 5. Moses 15, 1-2)


Eines der bekanntesten historischen Beispiele für ein Zeichengeld sind die Rai Steine auf den mikronesischen Yap-Inseln. Diese ringförmigen, bis zu einem Durchmesser von vier Meter grossen und bis zu fünf Tonnen schweren Steine dienten den Inselbewohnern von Yap als Geld. Wie Grösse und Gewicht erahnen lassen, konnten die Rai Steine kaum als Tauschmittel gedient haben. So wissen die Anthropologen heute, dass die Steine nur ganz zu Beginn den Eigentümer wechselten. Mit der Zeit bildeten sich Knotenpunkte heraus, wo die Steine, zu Türmen aufeinandergereiht, gesammelt wurden. Das Umland des Sippenhäuptlings oder durch die Gemeinschaft anerkannte öffentliche Orte wurden dafür eingesetzt. Bald waren die Rai Steine nur noch Zeichengeld, das nicht effektiv getauscht wurde, sondern der blossen Anschreibung diente. Dass die Steine wahrhaftig den Charakter eines Zeichengelds einnahmen, verdeutlicht eine Anekdote von Neha Narula, welche die Direktorin der Digital Currency Initiative des MIT Media Lab in einem Ted Talk schildert:


Es gibt eine Geschichte von Seglern, die mit einem Rai Stein über den Ozean fuhren und dieser Stein versank im Meer, als sie in Schwierigkeiten gerieten. Als die Segler wieder auf die Hauptinsel kamen, erzählten sie, was passiert war. Alle Yap-Inselbewohner beschlossen darauf, dass die Segler immer noch den Stein besitzen würden – warum auch sollten sie nicht? So zählte dieser Stein auch in Zukunft noch. Obwohl er auf dem Meeresboden lag, war er immer noch Teil der Yap-Wirtschaft. (Neha Narula, The Future of Money)


Der Zeichengeldcharakter der Rai Steine hatte für die Inselbewohner mehrere Vorteile. Ihr «Geld» war gewissermassen virtuell und daher um einiges beweglicher. Gleichzeitig hatte diese Virtualität eine Neid vorbeugende und daher gemeinschaftsbindende Komponente. So konnten Rai Steine schnell einmal zu einem gewichtigen Statussymbol für einen Inselbewohner werden, welche dieser voller Stolz vor seinem Haus hätte präsentieren können. Sind aber nicht die physischen, wohl aber die virtuellen Bestände ausschlaggebend, tritt der Aspekt des Statussymbols in den Hintergrund.


Wie sich zeigt, haben Zeichengeldsysteme wie dasjenige der Yap-Inselbewohner durchaus ihren Reiz und ihre anerkannten Vorteile. Nichtsdestotrotz unterliegt das Zeichengeld einer entscheidenden Voraussetzung: Damit Menschen ohne einen unmittelbar greifbaren, allgemein anerkannten Wertträger auskommen können, ist eine starke Vertrauensgrundlage unabdingbar. Denn nur wer sich gegenseitig hinreichend vertraut, geht untereinander unbehelligt lose Tausch- und Schenkakte ein.


Unter den einzelnen Inselbewohnern von Yap mögen die Rai Steine als Zeichengeld anerkannt sein. Verlässt man allerdings die Yap-Inseln und damit die Gemeinschaft, verlieren die Rai Steine wohl schnell ihre ganze (monetäre) Bedeutung, da Fremde ausserhalb der Gemeinschaft diese überhaupt nicht als Geld akzeptieren. An diesem Punkt kommt eine weitere Perspektive auf das Geld in Spiel und zwar die marktwirtschaftliche.


Zwischen verfremdeten Sippen besteht ganz grundsätzlich ein Vertrauensproblem. Wo anfängliches Vertrauen fehlt, muss der Fokus auf objektive Tatsachen gelegt werden. Damit sich also über Sippengrenzen hinweg nachhaltiger Tauschhandel herausbilden kann, wird die Gleichartigkeit und Vergleichbarkeit gegenseitig angebotener Güter entscheidender. Wie ein jeder merkt, erweisen sich verschiedenartige Güter unter Fremden als unterschiedlich tauschbar. Gewisse Güter lassen sich leichter tauschen als andere. Die Ökonomik definiert diese Eigenschaft als Markt- oder Absatzfähigkeit. Als einer der ersten strich dies der österreichische Nationalökonom Carl Menger in seinen «Grundsätzen der Volkswirtschaft» heraus:


Es gibt Waren, in welchen eine lebhafte und wohl geregelte Spekulation besteht, welche jede jeweilig zu Markte gelangende Teilquantität der verfügbaren Menge derselben, wenngleich sie auch den laufenden Bedarf übersteigt, aufnimmt, während sich die Spekulation, an dem Verkehr in anderen Waren nicht, oder doch nicht in gleichem Masse beteiligt und bei Überfüllung des Marktes die Preise entweder rapide sinken, oder aber die zugeführten Waren unveräussert vom Markte zurückgeführt werden müssen. Güter der ersten Art können der Regel nach jeweilig in jeder tatsächlich vorhandenen Quantität mit geringer Preiseinbusse zur Veräusserung gebracht werden, während der Eigner einer Ware, in welcher keine Spekulation besteht, dieselbe in einer den laufenden Bedarf übersteigenden Quantität entweder gar nicht, oder doch nur mit grossen Verlusten umsetzen kann. (Carl Menger)


Eine gängige Definition von Geld besteht also darin, in Geld das marktfähigste Gut zu sehen, das sich am einfachsten und ohne grosse Abschläge für andere Güter eintauschen lässt. Doch nicht alle Güter sind in gleicher Weise befähigt, marktgängigstes Gut zu sein. Der englische Ökonom Wilhelm Stanley Jevons, der etwa zur gleichen Zeit lebte wie Carl Menger, beschreibt im fünften Kapitel seines Werkes «Money and the Mechanism of Exchange» sieben treffende Eigenschaften des Geldes:


1. Nutzen und Wert

2. Handlichkeit

3. Unzerstörbarkeit

4. Homogenität

5. Teilbarkeit

6. Wertstabilität

7. Erkennbarkeit (Wilhelm Stanley Jevons)


Es sind diese objektiven Tatsachen, die eine Sache zu Geld machen, eben einem Sachgeld. Im Gegensatz zur kommunitaristischen Perspektive, die ihren Fokus auf das Zeichengeld legt, richtet die marktwirtschaftliche ihre Aufmerksamkeit auf das Sachgeld. Natürlich war den Menschen nicht von Anhieb klar, welche Güter all diese Eigenschaften unter sich vereinen würden. Über einen Entdeckungsprozess galt es dies herauszufinden. So wurden in der Geschichte der Menschheit vielerlei Güter als Geld verwendet. Häufig genannt werden Fell und Tierhaut. Wiederum findet sich in der Bibel ein passender Hinweis:


[…] Haut für Haut! Alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben. (Hiob 2,4)


Felle und Tierhäute dienten den Menschen in erster Linie als Kleidung. Dass sich aus diesem Nutzen und Anfangswert zusätzlich die Geldfunktion für den Tauschhandel ableiten liess, erscheint nicht unplausibel zu sein. Das Fell eines Raubtieres zum Beispiel war zudem auch Statussymbol, liess ein solches doch auf hervorragende Jagdfähigkeiten des Tragenden schliessen. Nur logisch gewannen Felle und Tierhäute im Tauschhandel aufgrund dieser Symbolkraft an Wertschätzung.


Historisch deutet auch viel darauf hin, dass Vieh die Geldfunktion innehatte. Einer der Hinweise liefert die Sprache, wie Stanley Jevons anmerkt:


In mehreren Sprachen ist der Name für Geld identisch mit dem einer Rinderart oder eines Haustieres. Es gilt als generell erwiesen, dass «pecunia», das lateinische Wort für Geld, von «pecus», Rind, abgeleitet ist. (Wilhelm Stanley Jevons)

Gleiches gilt für die Währung Indiens, die indische Rupie. Diese solle ebenfalls nach rupa, dem Wort für Viehherde, benannt sein. Vieh erfüllt vor allem die Geld-Eigenschaft der Transportierbarkeit, die bei Jevons am ehesten unter dem Punkt der Handlichkeit zusammengefasst werden könnte. Offensichtlich ist allerdings auch, dass andere Eigenschaften nur schlecht auf Vieh zutreffen. So ist zwar die Kuhherde, nicht aber die einzelne Kuh gut teilbar. Entweder man bezahlte eine Sack Mehl mit einer ganzen Kuh – was dann aber einem denkbar schlechten Deal entspräche – oder aber die Kuh wird schlicht «aufgeteilt». Hierfür musste sie dann allerdings geschlachtet werden, was deren Fleisch nur noch für eine begrenze Zeit haltbar machte. Ein weiterer Punkt Jevons, die Unzerstörbarkeit oder Haltbarkeit, wäre so vernachlässigt.

Im Handel mit Vieh offenbarte sich den tauschenden Parteien noch eine weitere Tücke. Auch die Homogenität war kaum gegeben. Nicht wenige die eine bestimmte Schuld mit einer Kuh zu begleichen hatten, versuchten hierfür das älteste und schwächste Tier abzugeben, vor allem dann, wenn die Viehqualität nicht näher definiert wurde, wodurch wieder bloss die Flexibilität gelitten hätte und die Marktfähigkeit eingeschränkt worden wäre.

Wie die Geschichte zeigt, erwiesen sich – aufgrund der Nachteile anderer Sachgüter – die Edelmetalle als die absatzfähigsten aller Güter. Wie kein anderes Gut vermögen Gold und Silber all die von Jevons genannten Geld-Eigenschaften zu erfüllen. Einzig der erste Punkt, Nutzen und Wert, mag wohl nicht unmittelbar einleuchten. Woher hatte Gold und Silber seinen Nutzen und Wert? Heutzutage wird oft argumentiert, dass sie in der Industrie Verwendung finden würden – Silber etwas mehr als Gold. Vor ein paar tausend Jahren jedoch, als die Menschen im Entdeckungsprozess auf Gold und Silber als die marktfähigsten Güter stiessen, gab es noch keine Industrie. Worin bestand deren Nutzen und Wert? Weil wir heute in einer durch und durch säkularisierten Welt leben, fällt uns deren anfänglichen Nutzen und Wert kaum mehr auf. Der Nutzen und Wert der Edelmetalle war vor allem religiöser Natur. Für viele religiöse Gruppierungen repräsentierte das Gold die Sonne, während Silber für den Mond stand. Es waren diese religiösen Verankerungen, welche den Edelmetallen einen metaphysischen und bald auch einen physischen Wert verlieh. Um diese Verbindung feststellen zu können, müssen nicht einmal alte Geschichtslexika bemüht werden. Ein Blick auf das Logo des grossen deutschen Edelmetall-Händlers Degussa genügt. Auf seiner Webseite schreibt das Unternehmen:


Die Degussa Barren tragen das Logo mit dem klassischen Degussa Namenszug und der Raute, die aus Sonne und Mond gebildet wird. Die beiden Himmels-körper stehen von alters her für Gold und Silber. (Degussa Goldhandel)


Aufgrund ihrer «geldigen» Eigenschaften – wie es Friedrich August von Hayek herausstreichen würde – und ihrer sakralen Bedeutung erwiesen sich die Edelmetalle als optimales Geld unter Fremden. Dass, wie oben erwähnt, Vieh ebenfalls eine Geldfunktion innehatte, ist wohl auch auf die Religion zurückzuführen. Nicht selten war das Vieh Opfertier und gewann so einen Wert. Anders als Vieh entpuppten sich Gold und Silber allerdings nicht nur als hervorragender Wertrepräsentant, sondern auch als ausgezeichneter Wertträger.

An dieser Stelle sollte nun auch ersichtlich sein, weshalb sich Vertreter der kommunitaristischen Perspektive des Geldes häufig gegen die marktwirtschaftliche auflehnen. Letztere, die in ihrer ausgereiftesten Form durch Repräsentanten der Österreichischen Schule der Nationalökonomik geprägt ist, beleuchtet eine Tauschwirtschaft mittels Geld unter Fremden. Geld dient schlicht der anonymen Wertvermittlung, ist selbständiger Wertträger und braucht daher keine Beziehungen, keine Gemeinschaft, sondern bloss eine lose Marktgesellschaft. Das widerstrebt der kommunitaristischen Perspektive, die darin das Verschwinden und der Zerfall von Gemeinschaft sieht. Aus ihrer Sicht zerstört das Kalkulieren und Messen in abstrakten Zahlen familiäre und gemeinschaftliche, religiöse und ideologische Beziehungen.

Natürlich hat die kommunitaristische Perspektive hier nicht nur Unrecht. Aufgrund seiner Stellung als universelles Mittel zum Zweck – oder eben ökonomische gesprochen wegen seiner beispiellosen Absatzfähigkeit – kann Geld schnell zum Selbstzweck werden. Dieser Gefahr sollte sich ein jeder bewusst sein.

Die anonyme Seite des Geldes hat aber auch eine andere Seite. Schon die Römer wussten: «Geld stinkt nicht». Selbst wenn der Fremde förmlich stinkt oder er einem sogar – aus religiösen Gründen – unrein ist, stiftet Geld eben doch Beziehungen. Eben dort, wo es sonst keine gäbe: unter Fremden. Dass Geld heute dennoch häufig als die Mutter aller Götzen abgetan wird, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die wenigsten mit dem Phänomen «Geld» auf theoretischer und intellektueller Ebene auseinandergesetzt haben. Die Worte der russisch-amerikanischen Philosophien Ayn Rand sollten diesbezüglich zum Nachdenken anregen:


Also denkst du, dass Geld die Wurzel allen Übels ist? [...] Haben Sie sich schon einmal gefragt, was die Wurzel des Geldes ist? Geld ist ein Tauschmittel, das es nur geben kann, wenn Güter produziert werden und wenn Menschen da sind, die diese Güter produzieren können. Geld ist die materielle Form des Prinzips, dass Menschen nur miteinander auskommen, wenn sie Leistung mit Gegenleistung bezahlen, wenn ihre Beziehungen durch ehrlichen Tausch geregelt sind. Geld ist nicht das Werkzeug der Schnorrer, die sich ihr Produkt durch das Vergiessen von Tränen erjammern, oder der Plünderer, die es sich mit Gewalt holen. Geld wird nur durch die Menschen ermöglicht, die produzieren. Ist es das, was Sie für böse halten? (Ayn Rand)


An anderer Stelle beschreibt Rand diese Wurzel des Geldes, von der die meisten Menschen heute nicht die leiseste Ahnung haben – eben weil sie noch nie darüber nachgedacht haben:


Papier (staatliches Papiergeld) ist ein Pfandbrief auf nicht vorhandene Werte mit einem Gewehr als Sicherheit, das man denen vor die Brust setzt, die es verwenden sollen. Papier ist ein von gesetzlich autorisierten Plünderern auf ein fremdes Konto gezogener Wechsel: ein Wechsel auf die Tugend der Opfer (zukünftige Generationen). Und es wird der Tag kommen, an dem er platzt, weil das Konto überzogen ist. Erwarten Sie nicht, das die Menschen gut bleiben, wenn Sie schlecht machen, was die Menschen zum Überleben brauchen. (Ayn Rand)


Die Worte Ayn Rands sind überaus hart. Diese sind allerdings nicht einfach so von der Hand zu weisen, wie wir an anderer Stelle über die Entstehung und die Funktionalität unserer heutigen Geldsystems beschrieben haben. Als Dirigent unseres heutigen Geldsystems gibt der Staat nicht nur Anweisungen, sondern über die Zentralbank spielt zudem eine staatliche Entität auf der geldpolitischen Klaviatur.


Mit dem Stichwort «Staat» sind wir sodann auch gleich bei der dritten Perspektive auf das Geld angelangt: der staatlichen. Diese Perspektive auf das Geld lässt sich gewissermassen auf den deutschen Ökonomen George Friedrich Knapp zurückführen, der wie schon Jevons zur Zeit von Carl Menger lebte. Mit letzterem geriet Knapp in Konflikt. Während Menger betonte, dass Geld durchaus als Sozialgebilde verstanden werden kann, dass sich über Jahre spontan herausentwickelt hat und nicht von oben herab geplant worden ist, nahm Knapp die Gegenperspektive ein:


Geld ist die Schöpfung des Staates. […] Wenn wir zu Beginn bereits erklärt haben, dass Geld eine Rechtsschöpfung ist, dann ist dies nicht im engeren Sinne zu verstehen, dass es sich um eine Rechtsschöpfung handelt, sondern im weiteren Sinne, dass es sich um eine Schöpfung der gesetzgebenden Tätigkeit des Staates, eine Schöpfung der Gesetzgebungspolitik handelt. (Georg Friedrich Knapp)


Knapp stellte sich auf den Standpunkt, Geld bloss vor dem Hintergrund staatlicher Prämissen beurteilen zu müssen, da das Geld, wie er es vorfand, letztlich einem staatlichen Diskret entsprungen sei. Anders als seine intellektuellen Gegner, die Metallisten – zu denen heute auch die Vertreter der Österreichischen Schule wie beispielsweise Carl Menger gezählt werden – hielt Knapp ein Zeichengeld, das weder durch Gold, Silber oder sonst ein Sachgeld gedeckt ist, für Geld:


Die Nominalität der Werteinheit wird, wie wir gesehen haben, vom Staat in seiner Eigenschaft als Rechtspfleger geschaffen. (Georg Friedrich Knapp)


Knapp und seine Nachfolger, bekannt als Chartalisten, sahen sich deshalb in ihrer Ansicht bestätigt, weil selbst ein noch goldgedecktes Geld für den normalen Benutzer im Alltag nur noch als Wertzeichen erschien. Noch viel mehr bekräftigt fühlen sich heute die Neo-Chartalisten, wo doch Geld überhaupt nicht mehr durch ein Sachgeld gedeckt ist und so den blossen Anschein eines Zeichengeldes erweckt. Doch schon der eben genannte Carl Menger half den Chartalisten seiner Zeit auf die Sprünge:


Dass die beste Gewährleistung für das Vollgewicht und die verbürgte Feinheit der Münzen durch die Staatsgewalt selbst geboten werden kann, weil dieselbe Jedermann bekannt und von Jedermann anerkannt ist und zugleich die Macht hat, Münzverbrechen hintanzuhalten und zu bestrafen, liegt in der Natur der Sache. Die Regierungen haben sich es denn auch zumeist zur Pflicht gemacht, die für den Verkehr nötigen Münzen auszuprägen, dabei aber ihre Gewalt nicht selten so sehr missbraucht, dass bei den wirtschaftenden Subjekten schliesslich der Umstand fast in Vergessenheit geriet, dass eine Münze nichts anderes sei, als ein seinem Feingehalte und Gewichte nach bestimmtes Stück edles Metall, für dessen Feinheit und Vollwichtigkeit die Würde und Rechtlichkeit des Ausprägers Gewähr leistet, und man sogar darüber in Zweifel geriet, ob überhaupt das Geld eine Ware sei, ja dasselbe schliesslich für etwas rein Imaginäres und bloss auf menschlicher Konvenienz Beruhendes erklärte. Der Umstand, dass die Regierungen das Geld so behandelten, als wäre es tatsächlich lediglich ein Produkt der menschlichen Konvenienz im Allgemeinen und ihrer legislativen Willkür insbesondere, hat solcherart nicht wenig dazu beigetragen, den Irrtümern über das Wesen des Geldes Vorschub zu leisten. (Carl Menger)


Manch liberalem Gemüt mag die staatliche Perspektive des Geldes zuwiderlaufen. Nichtsdestotrotz liefert auch sie interessante Teilerkenntnisse. In der Geschichte der Menschheit spielte der Staat nun einmal eine gewichtige Rolle. So auch beim Geld und den Tauschorten für Geld, den Märkten. Der zu Beginn zitierte David Graeber provoziert hier abermals wenn er festhält:


Mit anderen Worten: Trotz der hartnäckigen Behauptungen der Liberalen – wieder gehen sie auf Adam Smith zurück –, die Existenz von Staaten und Märkten sei irgendwie ein Gegensatz gewesen, sprechen die historischen Fakten dafür, dass genau das Gegenteil der Fall war. Gesellschaften ohne Staat sind in der Regel auch Gesellschaften ohne Märkte. (David Graeber)


Ob «Markt ohne Staat», «Markt nur mit Staat», «zuerst Markt, dann Staat» oder doch eher «Staat und dann erst Markt» ist wohl nicht abschliessend zu klären. Beispiele wird es für jede Konstellation geben. Sicher ist, dass der Staat seinen Einfluss auf das Geld und die Märkte immer zu maximieren versucht haben wird. Kann der Staat sein eigenes Geld ausgeben, ist das ein echter Gewinn für ihn, wie der deutsche Ökonom Thomas Mayer in seinem Buch «Die neue Ordnung des Geldes» schreibt:


Die meisten Herrscherhäuser gaben ihr eigenes Geld heraus, um sich die «Seigniorage» einzuverleiben, die verlässlichere Einnahmen versprach als Steuern. Der Begriff stammt vom französischen Wort für Lehnsherr, der im Mittelalter das Recht zur Münzprägung (das Münzregal) hatte. Seigniorage entsteht, wenn die Kosten der Geldproduktion unter den Erträgen liegen. In der Münzproduktion ist dies der Fall, wenn der Nennwert der Münzen über ihren Herstellungskosten liegt. (Thomas Mayer)


Der Gewinn aus der Geldproduktion für den Staat ist allerdings nur der eine Aspekt. Geld ist für den Staat auch das Mittel zur Organisation. So hilft das Geld dem Staat, die Gesellschaft zu steuern und die Basis dazu bilden die Steuern. Die Übereinstimmung der Begriffe ist wohl kein Zufall. Das Zusammenwirken von Organisation, Geld und Steuern schildert Graeber anhand eines erhellenden Beispiels, wie es schon die Römer praktizierten. Ein letztes Mal lassen wir ihn hier deshalb zu Wort kommen:


Sagen wird, ein König möchte ein stehendes Herr von 50'000 Mann unterhalten. Unter den Bedingungen, wie sie in der Antike oder im Mittelalter herrschten, war es ein enormes Problem, so viele Soldaten mit Essen zu versorgen – wenn sie nicht gerade marschierten, brauchte man fast noch einmal so viele Menschen und Lasttiere, um die notwendigen Vorräte aufzutreiben, anzukaufen und herbeizuschaffen. Wenn man aber den Soldaten einfach Münzen gab und dann verfügte, jede Familie im Königreich habe dem König eine solche Münze zu zahlen, dann hatte man mit einem Schlag seine ganze Volkswirtschaft in eine gewaltige Maschinerie zur Versorgung der Soldaten verwandelt. Denn um die Münzen zu bekommen, musste jede Familie einen Weg finden, wie sie auf ihre Weise zu der allgemeinen Anstrengung, die Soldaten zu unterhalten, beitragen konnte. (David Graeber)


Es ist dieses Beispiel, das uns auch erklärt, woher der Soldat seine Bezeichnung hat. Er war der Empfänger dieser staatlich verordneten Münzen. Das Wort kommt vom lateinischen «solidus», das so viel wie Münze bedeutet.


Wie anhand dieser Analyse hoffentlich deutlich geworden ist, gibt es keine einfache Antworten auf die anfangs gestellten Fragen: Was ist Geld? Welchen Zweck erfüllt Geld? Und wie ist Geld entstanden. Erst die drei Perspektiven aufs Geld lassen diesbezüglich ein paar Schlüsse zu.



In einer nächsten Analyse werden wir die Antworten auf diese drei Fragen ein wenig zu konkretisieren versuchen. Zudem wollen wir den Aspekt des Kreditgeldes noch beleuchten, der hier noch nicht behandelt wurde. Damit zusammenhängend soll auch das heutige Papiergeld auf ihren Geldcharakter geprüft werden. Zu guter Letzt wenden wir uns abermals den Perspektiven auf das Geld zu, die uns dabei helfen sollen, die finanzpolitische Wirklichkeit der jüngeren Vergangenheit und damit auch der Gegenwart ein wenig besser zu verstehen.

Literatur:

Menger, Carl. 1871. Grundsätze der Volkswirtschaftslehre. Wien: Willhelm Braumüller.

Degussa Goldhandle: http://www.degussa-goldhandel.ch/de/ueberuns.aspx

Graeber, David, Ursel Schäfer, Hans Freundl, and Stephan Gebauer. 2014. Schulden die ersten 5.000 Jahre. München: Goldmann.

Jevons, William Stanley. 1923. Money and the mechanism of exchange.

Knapp, Georg Friedrich. 2015. Staatliche Theorie des Geldes. Berlin: Duncker & Humblot.

Mayer, Thomas. 2015. Die neue Ordnung des Geldes – warum wir eine Geldreform brauchen. München: FBV.

Narula Neha. 2016. Ted-Talk. The Future of Money.

Rand, Ayn. 1997. Wer ist John Galt? Hamburg: GEWIS.

Schlachter, Franz Eugen. 2017. Die Bibel: mit Parallelstellen und Studienhilfen : Version 2000, neue revidierte Fassung.

Von Mises, Ludwig. 1924. Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel. München und Leipzig: Duncker & Humblot.



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